Praxis
für Alternative Psychosomatik und Traumdeutung, Dr.
Remo F. Roth, CH-8001 Zürich
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Remo F. Roth
Dr. oec. publ., Ph.D.
dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)
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©
copyright 1997 by Pro Litteris, Zürich.
zu diesem Thema siehe auch Was
uns die Träume über ein mögliches Leben nach dem Tod
sagen
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Die Neue Mystik und das Leben nach
dem Tod
Vortrag, vom 6. 6. 1997 am C.G. Jung
Institut, Stuttgart
1. Was ist
Mystik?
2. Der Konflikt
der Mystiker mit den Klerikern
3. Die Mystik der
Weltreligionen
4.
Identitätsmystik und Beziehungsmystik
5. Das kollektive
Unbewusste C.G. Jungs und die Neue Mystik
6. Ein Beispiel:
Die Mystik des Niklaus von Flüe
7. Die Mystik der
Alchemie
8. Der
alchemistische Mythos der Gotteswandlung
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9. Die Befreiung
der Weltseele
10. Der Aufbau
des Hauchkörpers (subtle
body) für das Leben nach
dem Tod
1.
Was ist Mystik? Wie der Titel meines Vortrages
sagt, beschäftigen wir uns heute mit der Mystik einerseits,
genauer gesagt mit einer neuen Art von Mystik, andererseits
mit Vorstellungen über das Leben nach dem Tod.
Im ersten Teil werde ich
Ihnen eine Einführung in die Neue Mystik geben. In
einem zweiten Teil beschäftigen wir uns dann mit der
Thematik eines Weiterlebens des Körpers nach dem Tod.
Dabei will ich Ihnen jetzt schon verraten, dass diese beiden
Themen eng zusammenhängen. Dies ist auch der Grund,
warum ich Ihnen diese gemeinsam vorlegen werde.
Wenn ich Ihnen von Neuer
Mystik erzähle, muss ich als erstes erklären,
was Mystik an sich ist. Etymologisch betrachtet kommt das
Wort Mystik vom griechischen myein = "die Augen schliessen".
Mystik bedeutet somit in erster Linie einen seelischen Zustand,
in welchem man sich von der äusseren Welt zurückzieht
und sich in einer introvertierten Art nach innen wendet,
indem man Augen, Ohren und Mund schliesst.
Mystik bezieht sich zudem
immer auf etwas Göttliches. Zusammen mit der obigen
etymologischen Ableitung ergibt sich also, dass Mystik eine
Beschäftigung mit Gott oder mit dem Göttlichen
in sich selbst darstellt. Mystik beschäftigt sich also
immer und ausnahmslos mit etwas, das von innen herauskommt;
die Bewegungsrichtung ist somit vom Innen zum Aussen.
Sehr schön ist dieser
Sachverhalt in einer Vision des Schweizer Mystikers Niklaus
von Flüe dargestellt
In dieser sieht Niklaus das
Antlitz Gottes, dessen Augen, Ohren und Mund durch drei
Speerspitzen durchstochen werden. Wenn man sich dies ganz
konkret vorstellt, kommt man zum Schluss, dass ein derart
gemarterter Mensch nichts mehr sieht, nichts mehr hört
und nicht mehr sprechen kann. Er ist somit gezwungen, Mystiker
zu werden, d.h. sich seiner eigenen Innenwelt zuzuwenden.
Folgt er diesem Prozess, wird etwas von innen nach aussen
gehen - in Niklausens Vision die drei Spitzen, welche vom
Kopf nach aussen weisen, somit von innen nach aussen.
Mit dieser Symbolik ist der
Prozess des Mystikers sehr schön beschrieben: Er wendet
sich nach innen, indem er Mund, Augen und Ohren schliesst,
worauf er erlebt, dass etwas aus seinem Inneren nach aussen
fliesst. Dieser Fluss entspricht den im mystischen Prozess
geschauten Visionen.
Interessant am ganzen ist,
dass es eigentlich Gott ist, der als Meditierender dargestellt
wird, denn ihm werden ja Mund, Augen und Ohren durchstochen.
Dies heisst speziell, dass die Fähigkeit zur Meditation
einem göttlichen Zentrum im Menschen entspringt. Niklaus
wurde somit in diesen innergöttlichen Prozess hineingezogen,
so dass ihm letztlich nichts anderes übrig blieb, als
selbst Mystiker zu werden.
2.
Der Konflikt der Mystiker mit den Klerikern
Hier zeigt sich nun sofort
ein ernstes Problem der Mystiker aller Religionen. Da sie
sich auf ein Gottesbild beziehen, welches aus ihrem Inneren
herauswirkt, kann sich dieses vom dogmatisierten unterscheiden.
So beschreibt beispielsweise der christliche Mystiker Cusanus
(Niklaus von Kues) Gott als eine "coincidentia oppositorum",
d.h. als das Zusammenfallen aller Gegensätzen in einem.
Ein notwendiger Schluss daraus besteht darin, dass Gott
somit Gut und Böse in sich vereinigt. Dies widerspricht
dem christlichen Gottesbild, dem Gott der Liebe, der nichts
Böses in sich trägt.
Damit entstehen natürlich
Konflikte zwischen den Mystikern und den dogmatischen Klerikern,
welche die Verkündigung und Vermittlung des dogmatisch
festgelegten Gottesbildes als ihren Beruf ansehen. Dieser
Konflikt ist heute wieder sehr modern. Wir wissen seit einigen
Jahrzehnten, dass es neben den vier kanonisierten Evangelien
noch viele weitere gibt, die gnostischen Evangelien, welche
im Jahr 1945 in Nag Hammadi in Aegypten gefunden wurden
(Lit.: Pagels, Elaine: Versuchung durch Erkenntnis - Die
gnostischen Evangelien, Insel Verlag, Frankfurt a.M., 1981).
In diesen von einer urchristlichen Mystik geprägten
Evangelien wird Jesus Christus teilweise ganz anders dargestellt
als in den vier offiziellen Evangelien. Doch obwohl diese
gnostischen Evangelien seit zwanzig Jahren publiziert sind,
werden sie von den christlichen Theologen nicht zur Kenntnis
genommen. Die Dogmatiker der Kirche wollen nichts mit diesen
mystisch geprägten Evangelien der Gnostiker zu tun
haben.
Der Mystiker erfährt
durch seine Sicht nach innen das Göttliche. Er hat
damit eine sehr individuelle Gotteserfahrung gemacht, er
hat Gott auf seine eigene Art und Weise erlebt. Es ist diese
Erfahrung des Göttlichen die ihm Wurzeln gibt, die
seinem Leben neuen Sinn verleiht. Der Kleriker kennt diese
Erfahrung nicht, er muss diese daher durch einen Glauben
an den Inhalt der heiligen Schriften ersetzen, den er des
öfteren mit fanatischem Eifer verteidigt. Bildlich
gesprochen schliesst er die Augen nicht, sondern er muss
sie ja öffnen, um den Inhalt dieser heiligen Schriften
lesen zu können. Er beschäftigt sich somit mit
dem Aussen.
3.
Die Mystik der Weltreligionen
Mystiker gibt es in allen
Religionen der Welt. Sie bilden den introvertierten Gegenpol
zu den Klerikern, welche sich mit der Interpretation der
heiligen Schriften beschäftigen. Die christliche Mystik
beginnt im 11. Jahrhundert mit Bernhard von Clairvaux. Christliche
Mystik wird in den Jahrhunderten nach Bernhard von Clairvaux
eine eminent deutsche Angelegenheit. Sie kulminiert und
degeneriert schliesslich in der Herz-Jesu-Mystik.
Die wichtigste, von der offiziellen
Kirche aber totgeschwiegene christliche Mystik ist die Alchemie,
auf die wir später zurückkommen werden. An dieser
Stelle mag der Hinweis genügen, dass die Alchemisten,
so beispielsweise auch Paracelsus, den in ihrem Inneren
verborgenen Gott, den "deus absconditus" suchten. Dies ist
auch der tiefere Grund, warum C.G. Jung sich so intensiv
mit der Alchemie beschäftigt hat (Lit.: Jung, C.G.:
Psychologie und Alchemie, Ges. Werke, Bd. 12, Walter Verlag,
Olten, 1972).
Die Mystik der Juden ist
in den Schriften der Kabbalah niedergelegt (Lit.: Scholem,
Gershom: Die jüdische Mystik, Suhrkamp Taschenbuch
Wissenschaft, 1980). Das Göttliche wird dort als ein
abstrakter Baum dargestellt, der berühmte Sefiroth-Baum.
Zudem gehört zur jüdischen Mystik eine hochdifferenzierte
Zahlenmystik. Die Zahl wird darin zum Träger göttlicher
Eigenschaften. Sie wird nicht nur zum Zählen und Zahlen
verwendet, sondern jede Zahl bekommt eine bestimmte Qualität.
Die Zahl Neun symbolisiert beispielsweise die transzendente
Welt und damit die Mystik, da sie am Uebergang zu einer
neuen Welt, nämlich zur Welt der zweistelligen Zahlen
(10 bis 99) steht.
Die Muslims, die Bekenner
des Islam, besitzen ebenfalls ihre eigene Art von Mystik,
den Sufismus odere das Sufitum. Diese Mystik ist eine der
grossartigsten und reichsten überhaupt (Lit.: Schimmel,
Annemarie: Mystische Dimensionen des Islams, Qalandar-Verlag,
Aalen (D), 1979)(s.a. Hoeller, S. 151). Schliesslich kennen
wir eine Mystik des Buddhismus, der heute so in Mode gekommene
Tantrismus.
Mystik gibt es aber auch
in Gebieten, welche auf den ersten Blick mit Religion nichts
zu tun haben. Die Mystik der Naturwissenschaft ist die Quantenphysik,
die Physik der allerkleinsten Elementarteilchen. Auch die
Physiker finden seltsamerweise Strukturen in der Materie,
die mit den introvertiert geschauten Gottesbilder der Mystiker
übereinstimmen (Lit.: Roth, Remo F.: Die Gottsucher
- Eine Vereinigung der christlichen Mystik und der Quantenphysik
in der Synchronizität C.G. Jungs, Frankfurt a.M., 1992).
Wenn man sich nun fragt,
was heutige Menschen suchen, die der Esoterik nahestehen,
so fällt auf, dass sehr viele sich mit dem Sufismus,
mit dem Tantrismus und mit der Kabbalah beschäftigen.
Offensichtlich suchen sie einen Weg, um ihr Bedürfnis
nach mystischer Erfahrung zu befriedigen. Allerdings suchen
sie diese Erfahrung wieder in typisch westlicher Manier
im Aussen, nämlich in der Mystik einer fremden Religion.
Der christlichen Mystik und vor allem der Alchemie wird
relativ wenig Beachtung geschenkt.
4.
Identitätsmystik und Beziehungsmystik
Ganz allgemein gesagt bedeutet
Mystik also die Beschäftigung mit dem Göttlichen
in der eigenen Seele. Hier nun müssen wir zwei gänzlich
verschiedene Arten von Mystik unterscheiden: Identitätsmystik
und Beziehungsmystik. In der Identitätsmystik versucht
der Mystiker selbst göttlich oder Gott zu werden. So
ist beispielsweise der Buddhismus als Ganzes eine Art Identitätsmystik.
Der Buddhist möchte mit dem Nichts, welches dem Göttlichen
entspricht, identisch werden und ins Nirvana eingehen.
Diese Identitätsmystik
ist heute - vor allem seit der Physiker Fritjof Capra sie
mit der Quantenphysik zusammengebracht hat - unter Esoterikern
sehr beliebt. Sie besitzt jedoch einen sehr gefährlichen
Aspekt für uns westliche Menschen. Wir ertragen es
nämlich aufgrund unserer psychischen Voraussetzungen
nicht, göttlich oder gottähnlich zu werden. Ein
Identitätsmystiker, der eine Gotteserfahrung macht,
ist in der Gefahr, in eine von C.G. Jung so genannte Inflation,
d.h. in einen Grössenwahn hineinzufallen. Er erfährt
sich plötzlich als Gott, bläht sich dementsprechend
auf und will mit missionarischem Eifer allen Mitmenschen
seine neuesten Weisheiten mitteilen.
Den Gegensatz zur Identitätsmystik
bildet die Beziehungsmystik. Beziehungsmystik finden wir
in allen drei semitischen Religionen: die jüdische
Kabbalah, der muslimische Sufismus und auch die christliche
Mystik sind alle dadurch geprägt, dass der Mensch eine
Beziehung zu dem in seinem Inneren verborgenen Gottesbild
sucht. Man nennt diese Mystik daher auch Ich-Du-Mystik.
Ein christlicher oder sufischer Mystiker wird daher nie
sagen, er werde durch seine Erfahrungen zu Gott, sondern
er betont den Beziehungsaspekt. Er bleibt Mensch und identifiziert
sich nicht mit dem Göttlichen. Der Ort dieser Beziehung
zu Gott ist zudem ausnahmslos das menschliche Herz. Mit
dieser Beziehungsmystik wollen wir uns heute abend beschäftigen.
5.
Das kollektive Unbewusste C.G. Jungs und die Neue Mystik
Warum verwende ich aber der
Begriff "Neue Mystik"? Um diesen Sachverhalt zu klären,
müssen wir nun die Entdeckungen der Tiefenpsychologie
mit einbeziehen. Alle tiefenpsychologischen Theorien stützen
sich auf den Begriff des Unbewussten oder des Unterbewussten
ab. Es ist das historische Verdienst Sigmund Freuds, das
Unbewusste entdeckt zu haben. Das Wort sagt, was es ist:
Es sind alle Inhalte, die dem Ich und dem Bewusstsein nicht
bewusst sind. Dies bedeutet, dass es etwas gibt, von dem
ich aber eigentlich nicht weiss, was es ist. Doch hat Sigmund
Freud erkannt, dass dieses Unbewusste Auswirkungen auf das
Bewusstsein haben kann, so dass wir aufgrund dieser Auswirkungen
indirekt schliessen können, dass es existiert. Das
heute berühmteste Beispiel einer solchen Auswirkung
des Unbewussten auf das Bewusstsein sind die Freudschen
Fehlleistungen, vor allem die Versprecher. Man möchte
etwas sagen, ein unbewusster Komplex kommt dazwischen, und
man verspricht sich.
Sigmund Freud hat nun angenommen,
dass alles Unbewusste einmal bewusst war. Unbewusst wurden
diese Inhalte durch Vergessen oder Verdrängen. Verdrängt
werden vor allem unangenehme Dinge, negative Gefühle,
das schlechte Gewissen, in den Zeiten Freuds noch sexuelle
Phantasien, usw. Das Unbewusste Freuds ist deshalb eine
Art Abfallkübel für alle diese unangenehmen Gedanken
und Phantasien.
In der Terminologie C.G.
Jungs stellt das Unbewusste Freuds das sogenannte persönliche
Unbewusste oder den Schatten dar. Nun hat schon Freud bemerkt,
dass es Träume gibt, welche sogenannte "archaische
Reste" enthalten. Es handelt sich dabei um Motive, die aus
der persönlichen Psychologie des Träumers nicht
erklärt werden können. Mit anderen Worten handelt
es sich um Trauminhalte, die nicht infolge einer Verdrängung
aus dem Unbewussten entstanden sind, sondern die schon immer
im Unbewussten vorhanden waren.
So sah C.G. Jung beispielsweise
bei einem Psychotiker im Burghölzli das Motiv eines
Sonnenphallus: Er erzählte immer wieder dieses eine
Bild von der Sonne, von welcher Schläuche auf die Erde
herunterhängen. Dies ist ein Motiv, welches nur im
Gilgamesh-Epos vorkommt, einer babylonischen mythologischen
Sage, die damals noch nicht in eine westliche Kultursprache
übersetzt worden war. Der Träumer konnte davon
also nichts wissen, und doch erschien das Motiv in seinen
Träumen und Phantasien. Aufgrund solcher und ähnlicher
Erfahrungen schloss Jung, dass unter dem von Freud entdeckten
persönlichen Unbewussten eine tiefere Schicht liegen
musste, welche allgemeinmenschlich ist. Er nannte diese
das kollektive Unbewusste. Seine Inhalte sind kollektiv
in dem Sinn, dass es sich dabei um menschheitsspezifische
Ideen handelt, die schon immer im Unbewussten waren und
daher nicht durch Verdrängung entstanden sein konnten.
Diese Ideen hat Jung Archetypen genannt.
Unter den Archetypen stellt
man sich meist etwas unglaublich Kompliziertes vor. Um eine
lebendige Vorstellung eines Archetypus zu bekommen, gibt
es jedoch ein ganz einfaches Verfahren: Wenn man sich an
einen Traum erinnert, der viele Jahre oder gar Jahrzehnte
zurückliegt, dann handelt es sich mit aller Garantie
um einen Traum aus dem kollektiven Unbewussten, in welchem
solche "archaische Reste" oder eben archetypische Motive
drin sind. Als Beispiel möchte ich den Archetypus des
Hegenden oder den Mutterarchetypus nennen, welcher durch
viele verschiedene Bilder wie z.B. durch den Baum, durch
die Höhle, durch die Kröte, die Schildkröte,
oder beispielsweise auch durch den Dinosaurier dargestellt
werden kann.
Wenn man in den Werken C.G.
Jungs liest, sieht man, dass das, was er das kollektive
Unbewusste nennt, etwas Numinoses ist. Hinter diesem Numinosum
versteckt sich das Göttliche. Das kollektive Unbewusste
besitzt bei C.G. Jung somit göttliche Qualitäten.
Genauer gesagt spricht C.G. Jung nie von Gott oder vom Göttlichen,
sondern er verwendet den Begriff des Gottesbildes, also
des Bildes, das wir uns von Gott machen. Das Zentrum des
kollektiven Unbewussten - er nennt es das Selbst - setzt
er mit diesem Gottesbild gleich. Die bildhafte Vorstellung
des kollektiven Unbewussten sieht somit etwa wie oben dargelegt
aus: Im Zentrum befindet sich das Gottesbild, darum herum
gruppiert sind die vielen verschiedenen Eigenschaften des
Gottesbildes.
Und nun verstehen Sie, warum
ich von Neuer Mystik spreche. Wenn das kollektive Unbewusste
göttliche Qualitäten besitzt und das Selbst im
Zentrum sogar dem in jedem Menschen angelegten Gottesbild
entspricht, entpuppt sich eine Beschäftigung mit den
archetypischen Träumen und Visionen dieses kollektiven
Unbewussten als eine innere Beziehung zum Göttlichen.
Die Beziehung zum Göttlichen in der eigenen Seele stellt
aber Mystik im weitesten Sinne des Wortes dar.
Wir wissen aus der Geschichte
der Mystiker - vor allem der Mystikerinnen - dass ihre Visionen
und Träume aus dem kollektiven Unbewussten von ihren
Beichtvätern gereinigt wurden. Alle Visionen, welche
mit der offiziellen kirchlichen Doktrin nicht vereinbar
waren, wurden als Einflüsterung des Teufels verdammt.
Die Visionsserien der christlichen Mystikerinnen und Mystiker
liegen uns also nur sehr unvollständig und verfälscht
vor, so dass wir diese nur beschränkt zum Vergleich
mit heutigen mystischen Erlebnissen heranziehen können.
Eine Ausnahme bilden die Visionen des Niklaus von Flüe.
Da er nicht in einem Kloster lebte, wussten die Kleriker
nichts von seinen Visionen. Und sein Leben als einfacher
Schweizer Bauer schützte ihn ebenfalls vor der besserwisserischen
Dogmatik der Kleriker. Diesen Umständen ist es zu verdanken,
dass wir seine Visionen in der ursprünglichen und damit
ungereinigten Form überliefert bekommen haben. Wenn
man sie genauer ansieht, bemerkt man, dass in ihnen die
ganze germanische Mythologie verborgen liegt (Lit.: Franz,
Marie-Louise von: Die Visionen des Niklaus von Flüe,
Daimon-Verlag, Zürich, 2. Aufl., 1980).
In der Geschichte der Mystik
wurde also immer und immer wieder versucht, den Inhalt der
Visionen derart zurechtzubiegen, dass sie mit dem dogmatisierten
Gottesbild übereinstimmten. Das wirklich Neue an der
von mir vorgeschlagenen Art von Mystik besteht daher darin,
dass man im Gegensatz zum Vorgehen der zensurierenden christlichen
Kleriker den aus dem kollektiven Unbewussten auftauchenden
Visionen und archetypischen Träumen völlig vorurteilslos
begegnet. Auf diese Art und Weise entdeckt vielleicht ein
gläubiger Christ in seinem Unbewussten ein budhhistisch-tantrisches
Gottesbild und er wird die Aufgabe haben, das christliche
mit dem tantrischen Gottesbild zu vereinigen. Oder ein überzeugter
Christ findet im kollektiven Unbewussten Ueberreste des
jüdischen Gottesbildes, welches er nun mit dem christlichen
in Einklang bringen muss.
6.
Ein Beispiel: Die Mystik des Niklaus von Flüe
Neue Mystik besteht somit
kurz gesagt darin, dass man sich in einer völlig vorurteilslosen
Art und Weise mit seinen Visionen und Träumen aus dem
kollektiven Unbewussten beschäftigt und zu verstehen
versucht, von welchem Gottesbild sie sprechen. Vor mehr
als 500 Jahren hat dies der Schweizer Mystiker Niklaus von
Flüe versucht. Als überzeugter Christ überfielen
ihn schon in seiner Jugend Visionen, die von einem Gottesbild
sprachen, welches sich sehr vom christlichen unterschied.
Diesen Tatbestand sehen wir wieder in der Vision vom erschreckenden
Gottesantlitz (s. Abb. oben). Im Bewusstsein glaubte Niklaus
von Flüe an die Dreieinigkeit Gottes, an die sogenannte
Trinität. Diese besagt, dass Gott aus den drei männlichen
Personen Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist besteht.
Im kollektiven Unbewussten des Niklaus herrschte jedoch
ein völlig anderes Gottesbild, nämlich jenes einer
Doppeltrinität, welche durch die zwei entgegengesetzten
Dreiheiten der Lanzenspitzen symbolisiert wird. Diese Vision
verarbeitete Niklaus im Laufe einiger Jahre in sein berühmt
gewordenes Radbild.
Zudem erscheint in diesem
Gottesbild neben dem Heiligen Geist auch eine Göttin.
Sie korrigiert das christliche Gottesbild und ergänzt
es durch das weibliche Prinzip, welches durch die Kirchenväter
ausgeschlossen worden war. Fast 500 Jahre später hat
dann Papst Pius XII. im Dogma von der "assumptio Mariae",
im Dogma von der leiblichen Himmelfahrt der Gottesmutter
Maria, diesen Schritt nachvollzogen - und wurde von den
meisten Theologen ausgelacht. Für C.G. Jung war diese
Anerkennung des Weiblichen als göttliches Prinzip jedoch
eine grosse Hoffnung für die spirituelle Zukunft der
christlichen Welt.
Niklaus von Flüe musste
sich fast sein ganzes Leben lang mit diesem im Unbewussten
konstellierten Gottesbild auseinandersetzen, welches sein
bewusst geglaubtes christliches Gottesbild kompensierte.
Ebenso gibt es heute schon viele Menschen, in welchen solche
neue Gottesbilder konstelliert sind. Da die Träume
und Visionen aus dem kollektiven Unbewussten eine verschleierte
und dunkle Sprache sprechen, welche ohne eine gewissen Technik
und ein vertieftes Wissen um die darin enthaltenen Symbole
nicht verstanden werden kann, suchen sie aussen und lassen
die Schätze der eigenen Seele verkümmern. Doch
immer mehr Menschen beginnen zu begreifen, dass die eigentliche
Weisheit von innen kommt, dass der tiefste Sinn des Lebens
darin liegt, das im eigenen Innern konstellierte Gottesbild
zu erkennen, indem man es in den eigenen Träumen und
Visionen sucht. Diese Menschen sind die Mystikerinnen und
Mystiker der heutigen Zeit, sie arbeiten - alle auf die
ihnen eigene Art und Weise - am Gottesbild der Zukunft.
7.
Die Mystik der Alchemie
Ich habe vorhin erwähnt,
dass die Alchemie die Mystik des Christentums darstellt
(vgl. dazu auch PARACELSUS
UND DAS ERNEUERTE GOTTESBILD ).
Es ist daher kaum verwunderlich, dass in Träumen und
Visionen meiner Klienten immer wieder Bilder auftauchen,
welche sich mit dem alchemistischen Prozess der Gotteswandlung
beschäftigen. Es scheint, dass immer mehr Menschen
heute die Aufgabe haben, diesen Prozess der Gotteswandlung
in der Alchemie zu verstehen und bewusst nachzuvollziehen.
Ich möchte Ihnen daher im folgenden diesen innerseelischen
Prozess der Wandlung des Gottesbildes näher ausführen.
Bevor ich auf diesen äusserst
ketzerischen Mythos der Alchemisten eingehen kann, muss
ich mit einem weitverbreiteten Vorurteil bezüglich
der Alchemie aufräumen. Die meisten Menschen glauben
heute noch, dass Alchemie die Goldmacherkunst des Mittelalters
war. Man meint, dass das Wesen der Alchemie darin bestand,
dass gewisse Leute versuchten, aus unedlen Metallen, beispielsweise
aus Blei oder aus Kupfer, Gold zu machen. C.G. Jung hat
nachgewiesen, dass dies ein grosses Missverständnis
ist. Zwar gab es geldgierige Alchemisten, die wirklich glaubten,
dass sie auf irgendeine mysteriöse Art Gold machen
könnten, doch die intelligenteren unter ihnen sahen
das Opus, das alchemistische Werk, als ein symbolisches
Werk. Goldmachen war für sie ein symbolischer Ausdruck
dafür, das Göttliche, das Unzerstörbare,
das durch Feuer nicht Verbrennbare in sich selbst herzustellen.
Ausgangsstoff für das Göttliche war dabei die
prima materia, welche nach Ansicht der Aerzte unter
den Alchemisten, vor allem bei Paracelsus und Gerhard Dorn,
im menschlichen Körper verborgen war. Nur nebenbei
möchte ich Sie darauf hinweisen, dass diese christlich-alchemistische
Einsicht vollständig der Zentralidee des tantrischen
Buddhismus entspricht.
Wie diese alchemistischen
Motive in Träumen moderner Menschen spontan auftauchen
können, will ich Ihnen am folgenden Beispiel zeigen.
In einer sehr kritischen Lebensphase erlebte eine meiner
Klientinnen die folgende Vision:
Ich bin mit einer
Fee auf einem runden Dorfplatz. Ich werde auf einen Scheiterhaufen
gebracht, um verbrannt zu werden. Dabei verwandelt sich
mein Körper in eine Taube und fliegt davon.
Wenn ein vergangenheitsorientierter
Mensch von dieser Vision hört, wird er sicher annehmen,
dass sie von der Reinkarnation handelt. Meine Klientin würde
in diesem Fall annehmen, dass sie in einem früheren
Leben als sogenannte Hexe verbrannt worden wäre. Ob
diese Annahme zutrifft oder nicht, wird man nie beweisen
können. Die Reinkarnations-Idee wird immer Spekulation
bleiben. Man kann sie glauben oder auch nicht. In der vorliegenden
Vision erklärt sie zudem die Motive der Fee und der
Taube nicht.
Wenn man nun statt dessen
annimmt, dass diese Vision aus dem kollektiven Unbewussten
stammt, könnte man versuchen, diese mit Hilfe der Interpretationsmethode
C.G. Jungs zu verstehen. Man könnte sich somit fragen,
welche Aufgabe im Hier und Jetzt und welche Zukunftsperspektiven
durch diese Vision beschrieben werden. Derart beziehen wir
solche archetypische Träume und Visionen auf die Gegenwart
und die Zukunft des betroffenen Menschen. Die Frage lautet
somit nicht, was diese Vision über ein früheres
Leben aussagen könnte, sondern man fragt sich, was
sie für das Hier und Jetzt und die Zukunft der Visionärin
bedeuten könnte. Die Vergangenheit wird ihrerseits
dadurch berücksichtigt, dass man sich fragt, was die
betreffenden Traummotive früher bedeutet haben könnten.
Um diese Aufgabe im Hier
und Jetzt herauszufinden, wende ich die sogenannte Amplifikationsmethode
C.G. Jungs an. In ihr sucht man nach Parallelen zu den Traum-
oder Visionsmotiven in der Geschichte der Menschheit. Wenn
man herausfindet, was diese Parallelmotive damals bedeutet
haben, kann man auch den tiefsten Sinn eines archetypischen
Traumes oder einer Vision für die Gegenwart und die
Zukunft des betreffenden Menschen verstehen.
Da der Unterschied zwischen
der Reinkarnationstheorie und der Neuen Mystik sehr wichtig
ist, will ich diesen nochmals kurz aufzeigen: Vertreter
der Reinkarnationshypothese beziehen solche Träume,
wie den vorher erwähnten von der Verbrennung auf dem
Scheiterhaufen, auf ein früheres Leben. Für C.G.
Jung sind darin jedoch archetypische Motive geschildert,
welche dem Individuum von heute etwas über seine zukünftige
Entwicklung sagen wollen. Jung bezieht einen solchen Traum
somit auf das Hier und Jetzt und auf die Zukunft, lässt
sich aber von der Vergangenheit beraten, was der Traum bedeuten
könnte.
Wendet man die Jungsche Amplifikationsmethode
auf unsere Vision an, so sieht man, dass das Motiv des durch
das Feuer nicht Zerstörbaren zum berühmten Phönixmythos
gehört. Darin verbrennt sich der Vogel Phönix
in seinem Nest durch seine eigene Körperhitze. Aus
der eigenen Asche wird er wiedergeboren und ist nun unsterblich.
Eben diese Herstellung des
Unzerstörbaren und Unsterblichen ist aber ein wesentliches
Ziel der Alchemie. In der Vision meiner Klientin entsteigt
der Asche jedoch eine Taube. Offensichtlich stellt diese
Taube das Ziel ihres jetzigen Lebens dar. Die Taube ist
ein Symbol des Heiligen Geistes einerseits, andererseits
ein Attribut der griechisch-römischen Göttin Venus-Aphrodite.
Es handelt sich also um einen weiblich-göttlichen Geist,
der aus der Asche des verbrannten Körpers wiederaufersteht.
Da dieser Geist mit der Göttin Venus-Aphrodite verbunden
ist, scheint er wesentlich mit dem Prinzip des Eros zusammenzuhängen
(S.a. Hoeller, S. 165ff.).
******
Nach der Pause
werden wir sehen, dass es sich bei diesem weiblich-göttlichen
Prinzip um die Weltseele (anima mundi) beziehungsweise
um den Hauchkörper (subtle body) handelt. Zudem
wird uns klar werden, wie die Befreiung dieser Weltseele
beziehungsweise der Aufbau des Hauchkörpers mit der
Neuen Mystik zusammenhängt.
8.
Der alchemistische Mythos der Gotteswandlung
(see
also enhanced
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Das Phönixmotiv, die
Befreiung eines weiblich-göttlichen Geistes aus der
Materie oder aus dem Körper, ist Teil des alchemistischen
Mythos der Gotteswandlung. Dieser Mythos der Gotteswandlung
ist es, der in den Träumen moderner Menschen immer
wieder und immer häufiger auftaucht. Die Idee, dass
Gott eine Wandlung nötig habe, war den Alchemisten
sehr vertraut. Sie stellt jedoch vom kirchlichen Standpunkt
aus eine ungeheuerliche Ketzerei dar. Die Kirchenväter
hatten Gott nämlich als ewig unwandelbar deklariert,
und dieses Dogma verkündet die katholische Kirche noch
heute. Und nun erlauben sich Menschen im Mittelalter, von
der Wandlung Gottes zu sprechen. Viele haben dafür
auf dem Scheiterhaufen gebüsst.
Da die Alchemisten deshalb
nicht offen erklären konnten, dass sie über die
Wandlung Gottes sprachen, nahmen sie das Bild des Rex, des
Königs, der sich wandelt. Aber wenn man die Texte liest,
sieht man die Ergriffenheit dieser Alchemisten und merkt
derart, dass damit die Wandlung Gottes gemeint ist.
Ein wichtiger Teil des alchemistischen
Werks dreht sich um diese Wandlung des Rex, des Gottkönigs.
Die Alchemisten waren Christen, und viele von ihnen waren
auch Priester. Sie kannten also die christliche Lehre von
der Trinität Gottes. Am Anfang des meditativen Werkes
der Alchemisten steht deshalb ein rein männlicher Gott,
eben der Gott der christlichen Trinität mit Gottvater,
Gottsohn und dem Heiligen Geist, dargestellt durch das mit
der Spitze nach oben gerichtete Dreieck.
Nun aber kommt das Neue und
Ketzerische: In einer zweiten Stufe altert dieser dreieinige
Gott, oder er wird krank, er stirbt, er löst sich auf
und er versinkt in der Erde. Dieser Sachverhalt stellt ein
Beispiel einer archetypischen Idee dar, welche plötzlich
konstelliert ist und das Bewusstsein jedes Menschen überschwemmen
kann. Die Alchemisten und die christlichen Mystiker müssen
einen grossen Schock erlebt haben, als sie sich über
die Tragweite dieser neuen Idee bewusst wurden. Wie ich
vorher schon erwähnt habe, hat der Mystiker Niklaus
von Flüe ein Leben lang mit dieser neuartigen und furchterregenden
Idee gerungen (s. ob. Folie, Pkt. 3).
Die dritte Stufe der alchemistischen
Gotteswandlung stellt eine noch gewaltigere Revolution dar:
Im alchemistischen Mythos hat jeder Mensch in diesem Erdenleben
die Aufgabe, die Gottheit aus der Materie oder aus seinem
eigenen Körper zu erlösen (s. ob. Folie, Pkt.
4).
Erinnern wir uns hier nun
an den vorher erwähnten Phönixmythos. Die dritte
Stufe der Wandlung des Gottes der Alchemie entspricht diesem
Phönixmythos und damit der Vision meiner Klientin.
Hier wird das durch das Feuer nicht Zerstörbare, der
Phönix beziehungsweise die Taube, hergestellt.
Dieses Unzerstörbare
wird auch durch das Gold dargestellt, welches der Alchemist
herstellen muss. Die Alchemisten betonen aber immer, dass
es sich dabei nicht um das gewöhnliche Gold handelt,
sondern um das sogenannte philosophische Gold.
In der Vision meiner Klientin
wird dieses Unzerstörbare, welches aus der Asche des
Körpers aufgebaut wird, durch die Taube dargestellt.
Und diese Taube symbolisiert, wie ich schon erwähnt
habe, einerseits ein Geistprinzip, andererseits die Göttin
Venus-Aphrodite, somit ein weiblich-göttliches Geistprinzip,
welches zudem sehr viel mit dem Prinzip des Eros zu tun
hat. Wie wir sehen werden, handelt es sich dabei um die
sogenannte Weltseele (anima mundi), welche aus der
Materie oder aus dem Körper befreit worden ist.
Wenn der Mensch dieser Gottheit
hilft, sich zu wandeln und aus der Materie neu aufzuerstehen,
passiert also etwas weiteres, welches den Namen Revolution
verdient: Diese in der Erde, in der Materie oder im Körper
versunkene Gottheit ist weiblich, ist eine Frau oder besser
eine Göttin. Die Erlösung Gottes gipfelt somit
darin, dass sein weiblicher Aspekt erlöst und damit
im Menschen inkarniert wird.
Zudem zeigt sich, dass diese
Göttin mit der Materie beziehungsweise mit dem menschlichen
Körper verbunden ist, somit also heidnische Züge
trägt. Auch diese weibliche Gottheit ist triadisch
beziehungsweise trinitarisch, besteht somit aus drei Einzelpersonen,
welche jedoch eine Einheit bilden. Dieser Sachverhalt nähert
sie den heidnischen Göttinnen, beispielsweise der keltischen
dreiköpfigen Göttin oder der griechischen Trinität
von Demeter, Hekate und Persephone an. Sie wird durch das
mit der Spitze nach unten gerichtete Dreieck - eine Abstraktion
des weiblichen Beckens - dargestellt (s. ob. Folie, Pkt.
5).
Die Erlösung eines weiblichen
Aspektes des Gottesbildes widerspricht total der Dogmatik
des Christentums. Zudem sagt diese aus, dass es Gott ist,
welcher den Menschen erlösen wird. Hier wird der Sachverhalt
umgedreht: In Zukunft wird jeder Mensch der Gottheit helfen
müssen, sich zu wandeln, ihren weiblichen Aspekt zu
erlösen und neu wieder aufzuerstehen. Darin wir eine
wesentliche Aufgabe des modernen Mystiker und vor allem
der modernen Mystikerin bestehen.
Die Auffassung, dass der
Mensch Gott helfen muss, seinen weiblichen Aspekt zu erlösen,
steht wie gesagt in völligem Gegensatz zur christlichen
Dogmatik. In dieser ist es ja eben der allgütige dreieinige
Gott, der der Menschheit immer aus der Verlegenheit hilft,
und die Kleriker und Theologen wissen wie und erzählen
dies in abgedroschenen Phrasen dem heute nicht mehr so staunenden
Publikum. Die Alchemisten haben jedoch den Spiess umgedreht:
Jeder einzelne Mensch muss, meist ohne die Hilfe der Theologen,
Gott helfen, sich zu wandeln - wie gesagt ein ungeheuerlicher
Gedanke, der aber auch die Graalssagen des 12. Jahrhunderts
(im Symbol des runden Gefässes, welches der Mensch
in der Queste in diesem Leben finden muss) und die jüdische
Kabbalah eines Isaak Luria wie ein roter Faden durchzieht
(s. ob. Folie).
Wenn sich diese weibliche
Gottheit in einer vierten Stufe des Wandlungsprozesses mit
der männlichen vereinigt, wird dies symbolisch durch
die beiden ineinander verschlungenen Dreiecke dargestellt.
Derart entsteht das doppeltriadische Siegel Salomos, das
Wahrzeichen der Alchemie und das Symbol der Vereinigung
des männlichen Prinzips mit dem weiblichen (s. ob.
Folie).
Dieses Siegel Salomos scheint
dem Gottesbild zu entsprechen, welches heute in vielen Menschen
konstelliert ist. Ich habe es bei Todkranken gesehen, bei
Drogensüchtigen, bei UFO-Entführungsopfern und
bei Menschen, die ohne es zu wissen, bereits zu den Neuen
Mystikern gehören. Wie der bedeutende jüdische
Mythenforscher Gershom Sholem betont, ist dieses Siegel
Salomos beziehungsweise der Davidstern nicht etwa jüdischen
Ursprungs. Es findet sich über die ganze Welt verteilt,
in vielen verschiedenen Kulturen, so beispielsweise als
Symbol des Herzchakras, des anahata des buddhistischen Tantrismus,
oder im Herzen der Sufis, der Mystiker des Islam, oder als
Radbild des Niklaus von Flüe oder als Symbol des alchemistischen
Werks und sogar als Symbol der Atomkraft in der Physik.
Ganz allgemein kann man sagen, dass dieses Siegel Salomos
ein Symbol der aus der Materie oder aus dem menschlichen
Körper befreiten Weltseele darstellt.
9.
Die Befreiung und Erlösung der Weltseele
Damit müssen wir uns
nun die Frage stellen, wer oder was denn diese Weltseele
sein könnte (vgl. dazu auch Die
alchemistische Weltseele, das kollektive Unbewusste C.G.
Jungs und die Konzepte der modernen Physik).
Bis ins siebzehnte Jahrhundert, bis zum Auftauchen Descartes
(1596 bis 1650), glaubten die Menschen daran, dass das Universum
und die Materie ganz allgemein beseelt seien. Die Personifizierung
dieser Idee führte zum Gedanken der göttlichen
Weltseele. Unter dieser Weltseele stellten sich die Alchemisten
eine psychische Energie vor, welche die ganze Materie des
Universums durchdringt. Sie ist Ursprung aller Neuschöpfung
im Universum. Gemäss Paracelsus ist die Weltseele seit
jeher (coaetern) mit Gott zusammen und stellt dessen weiblichen
Aspekt dar. Dies heisst speziell, dass sie nicht vom christlichen
Gott geschaffen ist - welch ungeheuer ketzerischer Gedanke
des Einsiedler Arztes! -, sondern ein eigenes schöpferisches
Prinzip darstellt.
Wie ich vorhin gezeigt habe,
besteht ein wesentlicher Teil des alchemistischen Werks
darin, diese Weltseele aus der Verhaftung an die Materie
zu erlösen. In diesem erlösten Aspekt wird diese
Weltseele als rund und spiegelbildlich geschildert. Diese
Eigenschaften verbindet sie mit dem Siegel Salomos, welches
ja einerseits direkt aus dem Kreis konstruiert werden kann
und andererseits aus zwei spiegelbildlichen Dreiecken besteht.
Was bedeutet aber eine solche
Befreiung der Weltseele, welche das Werk der modernen Mystikerin
und des modernen Mystikers sein wird, ganz konkret? Als
erstes heisst dies, dass wir hinter Descartes zurückkehren
und die Allbeseeltheit der Materie und des Universums wieder
anerkennen müssen. Längerfristig wird dies in
eine neue Form des Animismus hineinführen. Dieser Animismus,
der Glaube an eine Allbeseeltheit der Natur, ist übrigens
noch längst nicht ausgestorben. Wie der Urner Arzt
Eduard Renner in seinem Buch Goldener Ring über
Uri (1941) gezeigt hat, existierte noch vor einigen
Jahrzehnten in den Schweizer Bergen dieser animistische
Glaube an die Weltseele. Auch die krankhafte Tendenz vieler
heutiger Menschen, immer mehr und immer höllischeren
Lärm zu produzieren zeigt, dass in ihrem Unbewussten
eine tiefste Angst vor dieser Geisterwelt zurückgeblieben
ist, denn mit Lärm hat man in allen archaischen Kulturen
versucht, diese animistischen Geister zu vertreiben, wenn
sie ungemütlich wurden.
Ich mache mir allerdings
keine Illusionen darüber, dass allzuviele Menschen
der heutigen westlichen Welt die Realität der Weltseele
werden anerkennen können. Der heutige Trend läuft
in eine andere Richtung. Nun gibt es aber ein psychologisches
Gesetz, welches besagt, dass seelische Realitäten,
welche bewusst nicht wahrgenommen werden, über kurz
oder lang in der Aussenwelt erscheinen. Es scheint, dass
diese innere Realität, infolge der Weigerung der Menschen,
sie wahrzunehmen, sozusagen in die äussere Realität
hinausprojiziert würde. Deshalb haben wir uns zu fragen,
welche Phänomene diesem äusseren Erscheinen der
Weltseele entsprechen könnten.
Der Aspekt der Rundheit der
göttlichen Weltseele führt uns auf die Spur. Meine
Forschungen haben mich zur Ueberzeugung gebracht, dass die
immer häufiger werdenden Beobachtungen von UFOs, von
"unidentified flying objects", die in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle Kreisgestalt besitzen, dem Erscheinen
der vernachlässigten göttlichen Weltseele in der
Aussenwelt entsprechen. Oder einfacher ausgedrückt:
Die Ufos entsprechen dem äusserlich sichtbaren Aspekt
der zu befreienden Weltseele. Je länger wir uns weigern,
diese weiblich-göttliche Weltseele als psychische Realität
anzuerkennen, desto brennender und gefährlicher wird
das Problem der UFOs werden. Dies zeigt sich auch darin,
dass diese UFOs in früheren Jahren fast ausnahmslos
mit positiven Absichten in Erscheinung traten, dass sie
nun aber - da wir ihren wahren Sinn nicht verstehen wollen
- immer negativer und destruktiver werden (Lit: m. "Gottsucher").
10.
Der Aufbau des Hauchkörpers für das Leben nach
dem Tod
Zum Schluss wollen wir uns
nun noch mit der Frage beschäftigen, was die von mir
so genannte Neue Mystik denn mit dem Leben nach dem Tod
zu tun haben könnte. Wir wissen vorläufig, dass
eine wesentliche Aufgabe der modernen Mystiker darin zu
bestehen scheint, dass sie durch ein meditatives Werk der
weiblich-göttlichen Weltseele zu neuer Anerkennung
verhelfen. Um zu verstehen, was diese Erlösung der
Weltseele mit einem eventuellen Leben nach dem Tod zu tun
haben könnte, müssen wir uns nun auf die Alchemie
zurückbesinnen.
Das alchemistische Werk konnte
auf zwei Arten durchgeführt werden: Entweder versuchte
der Alchemist die Weltseele aus der ihn umgebenden Materie
zu erlösen, beispielsweise, indem er sich mit dem chemischen
Prozessen des verdampfenden Quecksilbers beschäftigte.
Es erstaunt nicht, dass die
moderne Physik als Nachfolgerin der Alchemie ebenfalls versucht
hat, die Weltseele aus der Materie zu befreien. Dies ist
ihr vor ungefähr 50 Jahren mit der Kernspaltung geglückt.
Die Atombombe stellt daher den folgerichtigen Schlusspunkt
der Befreiung der Weltseele im Makrokosmos dar.
Im Gegensatz zur modernen
Physik galt jedoch für den Alchemisten die Devise "Wie
aussen, so innen". Was im Makrokosmos geschah, hatte seine
spiegelbildliche Entsprechung im Mikrokosmos, somit also
im menschlichen Körper. Deshalb konnte der Alchemist
diese Aufgabe der Befreiung der Weltseele auch in den menschlichen
Körper verlegen. So ist vor allem die Alchemie des
Paracelsus und seines Schülers Gerhard Dorn (Dorneus)
tief geprägt von diesem introvertierten Versuch der
Erlösung der Weltseele. Die Vorstellungen dieser Prozedur
entsprechen weitgehend jenen des buddhistischen Tantrismus.
Aus dem grobstofflichen Körper befreit der Alchemist
einen feinstofflichen. Und dieser feinstoffliche Körper,
der Astralleib, der Ewigkeitsleib oder der Hauchkörper,
entspricht im Denken der Alchemisten nichts weniger als
der befreiten Weltseele. Die makrokosmische Erlösung
und Befreiung der Weltseele aus der Materie entspricht somit
auf der mikrokosmischen Ebene dem Aufbau des Hauchkörpers,
des Ewigkeitsleibs. Und dieser durch meditative Uebungen
in diesem Erdenleben aus dem grobstofflichen Körper
aufgebaute Hauch- oder Astralkörper oder eben dieser
Ewigkeitsleib dient als Vehikel des Lebens nach dem Tod.
Damit haben wir den Zusammenhang
zwischen der Neuen Mystik und dem Leben nach dem Tod gefunden.
Die Neue Mystik beschäftigt sich einerseits mit der
Erlösung der Weltseele aus der Materie, andererseits
mit dem Aufbau eines Hauchkörpers für das Leben
nach dem Tod. Dabei entspricht dieser aus dem grobstofflichen
Leib aufgebaute Hauch- oder Astralkörper nichts weniger
als der Weltseele, die durch eben diese Prozedur aus der
Materie befreit worden ist.
Nun verstehen wir auch den
vorher zitierten Traum noch besser. In diesem wird die Träumerin
in Anwesenheit einer Fee auf einem runden Dorfplatz auf
dem Scheiterhaufen verbrannt und wandelt sich in eine Taube.
Die Rundheit des Platzes deutet schon darauf hin, dass der
Traum mit der Befreiung der Weltseele zu tun haben muss.
Die Fee - eine Personifikation der Allbeseeltheit und Weisheit
der Natur ( ) - symbolisiert natürlich die erlöste
Weltseele, die Taube, die aus dem verbrannten Körper
neu entsteht, bedeutet den im Aufbau begriffenen Hauchkörper
meiner Klientin. Die Fee und die Taube sind zudem insgeheim
eins, sie bedeuten einerseits den makrokosmischen Aspekt
der Weltseele, andererseits deren mikrokosmischen Aspekt
des Hauchkörpers.
Dieser Hauchkörper ist
unzerstörbar wie der aus der Asche wiedererstandene
Phönix. Er wird derart zum Vehikel für das ewige
Leben nach dem Tod. Im Gegensatz zum Christentum wird aber
das ewige Leben nicht einfach durch den Glauben an Jesus
Christus geschenkt, sondern der Aufbau des Ewigkeitsleibes
für das Leben nach dem Tod stellt die wichtigste Aufgabe
des jetzigen Lebens dar. Diese Aufgabe ist der Neuen Mystik
heute gestellt. Es entspricht meiner tiefsten Ueberzeugung,
dass diese Aufgabe vielen heutigen Menschen einen neuen
Lebenssinn zurückgeben und sie aus der Sinnlosigkeit
der heutigen Zeit erlösen könnte.
zu
diesem Thema siehe auch
Was
uns die Träume über ein mögliches Leben nach
dem Tod sagen
Homepage
Remo F. Roth
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18.11.2002
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