8.1 Die
Struktur des simonianischen Gottesbildes und dessen Inkarnation im
Kosmos und im Menschen
Im obigen
habe ich versucht, die ersten vier Visionen Sarahs zu amplifizieren
und zu deuten. Dabei sind wir auf einen auf den ersten Blick
überraschenden Filigran von Wechselbeziehungen zwischen diesen
Visionen gestossen. Es ist, als ob der immer gleiche Sinngehalt von
verschiedenen Seiten beleuchtet würde, als ob der eine zentrale
Inhalt, der Schöpfungsmythos der Gotteswandlung, mit immer neuen
Motiven umschrieben würde. Ich habe oben schon darauf
hingewiesen, dass es sich dabei um das von Jung entdeckte Prinzip der
Selbstamplifikation des Archetypus handelt, eine Umkreisung des
zentralen Inhalts mit verschiedenen aber sinngleichen Symbolen,
welchen Vorgang C.G. Jung auch Zirkumambulation genannt hat. Folgt
man diesem archetypischen Prozess durch eine amplifizierende Deutung,
verdichtet sich der Inhalt immer mehr auf das Wesentliche, und
schliesslich lässt sich der Kern eines vollständigen Mythos
herausschälen.
Es
lässt sich nun zeigen, dass dieser Kern im vorliegenden Fall in
weiten Teilen der frühchristlichen Gnosis des Simon Magus
entspricht. Konzentriert man sich nämlich auf die beiden
Hauptsymbole der dritten und der vierten Vision, auf das Feuer und
auf den Baum, befindet man sich plötzlich mitten in dieser
vorevangelischen Phase des Christentums. Simon Magus muss zur Zeit
Jesu gelebt haben, denn sieben Jahre nach dessen Tod traf er zu einem
Streitgespräch mit Petrus zusammen. Da die frühesten
Evangelien auf die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts datiert
werden, ist die Gnosis des Simon Magus vor diesen entstanden. Es
handelt sich dabei offensichtlich um das ur-sprünglichste
Urchristentum. Wie bekannt, wurde im Jahr 170 vor allem durch die
Schrift Adversus haereses des Bischofs Irenäus von Lyon
die Gnosis als ketzerisch geächtet, und alle irgendwie von
gnostischem Geist angehauchten Schriften wurden verbrannt, sofern die
Kleriker jener Zeit ihrer habhaft werden konnten.
Damit war
im Frühchristentum eine Entwicklung eingeleitet, die von der
unmittelbaren Gotteserfahrung der Gnostiker weg in den dogmatisierten
Kanon der kirchlichen Kleriker hineinführte. Individuelle
Gotteserfahrung wurde durch Glaube ersetzt, den diese Kleriker
lehrten, wobei ihnen das Machtinstrument der entstehenden
Kirchenorganisation bei der Unterdrückung und Ausrottung der
Gnostiker eine grosse Hilfe war. Es scheint, als ob das Pendel nun,
am Ende des christlichen Zeitalters, zurückschlagen werde. Den
Kirchen rennen die Gläubigen in Scharen davon. In Unkenntnis der
christlichen Gnosis und Mystik suchen viele ihr Heil in
fernöstlichen mystischen Ritualen - um allerdings wieder den
machtbesessenen Gurus in die Arme zu laufen.
Bevor wir
das Symbol des verbrennenden Baumes und der überlebenden Frucht
- die zentrale Aussage der simoniansichen Gnosis, welche
übereinstimmend als Ausgangspunkt aller anderen gnostischen
Strömungen bezeichnet wird - deuten und damit dem
Verständnis des modernen Menschen zugänglich machen
können, müssen wir uns mit der Struktur des simonianischen
Gottesbildees beschäftigen. Dabei werden sich überraschende
Querbezüge zur ersten Vision von der Lilie und mit der zweiten
vom Schilf am See <Verweis auf die Schilfvision> ergeben. Die
Amplifikation mit dieser Urform der christlichen Gnosis bietet uns
somit die Gelegenheit, diese vier Visionen zu einer einzigen
archetypischen Mystik zu verbinden - einer Mystik, die meines
Erachtens beste Aussichten hat, eine zentrale Leitidee des
nachchristlichen Zeitalters des Aquarius (Wassermann) zu
werden.
Göttlicher
Ursprung des Universums und des Menschen, des Makrokosmos und des
Mikrokosmos, bildet bei Simon Magus ein symbolisches Feuer, eine
Dynamis, die er auch Wurzel des Alls, Ursprung des Alls, das
Ungewordene (im Sinne einer Potentialität) und Ursprung aller
Begierde nach Zeugung nennt.
Dieses
schöpferische Feuer, der Ursprung des Universums, entfaltet sich
nun auf der geistigen Ebene zu einer Trinität von Vatergott,
Muttergöttin und mann-weiblicher Sohngottheit. Bei der
Ausgestaltung dieser Lehre vom göttlichen Ursprung lehnt sich
Simon an den Platoniker Xenokrates an. Bei diesem steht am Anfang die
Einheit, der Weltgeist, der Göttervater. Die Einheit
entlässt aus sich heraus die Zweiheit. Diese Zweiheit nennt er
die Weltseele (bei Simon die »Mutter des Alls«). Das Dritte
dieser Trinität bildet der aus Weltgeist und Weltseele
entstehende Kosmos. Diese makrokosmische Dreiheit von Weltgeist,
Weltseele und Weltkörper wird gespiegelt im Mikrokomos des
Menschen. Auch dieser besitzt Geist, Seele und Körper .
Neben
dieser griechisch beeinflussten Differenzierung der Einheit in eine
Dreiheit benutzt Simon aber auch eine jüdische. Er deutet den
Schöpfungsbericht insofern um, als er der siebentägigen
Genesis eine dreitägige Schöpfungsperiode Gottes
voranstellt, die ausschliesslich in der göttlichen Welt handelt:
Himmel (Gottvater), Erde (Muttergöttin) und der Gottessohn als
der - im Unterschied zur jüdisch-christlichen Überlieferung
- eigentliche Weltenschöpfer emanieren sich während dieser
Zeit aus der Einheit.
Simon
verwendet in Anlehnung an seine Definition des schöpferischen
Feuers als Wurzel des Alls noch ein drittes Bild: Zwei
Sprösslinge, welche weder Anfang noch Ende haben, kommen von
oben und von unten aufeinander zu und treffen sich in der Mitte
zwischen Himmel und Erde. Dort paaren sie sich und daraus entsteht
die mannweibliche Kraft, welche das Universum erschafft.
Dasselbe
göttliche Feuer, welches die Gottheit in eine
Vater-Mutter-Sohnschöpfer-Trinität ausdifferenziert,
inkarniert sich nun auch im »wüsten und leeren«
Kosmos. Der aktuelle Kosmos entstand nämlich gemäss Simon
aus dem potentiellen Feuer, indem ersterer dem Feuer sechs Wurzeln
entnahm. In diesen sechs Wurzeln befindet sich die ganze unbegrenzte
Kraft, d.h. das göttliche Feuer, und zwar sowohl inkarniert
(aktuell) als auch potentiell, als Wirklichkeit und als
Möglichkeit. Simon nennt deshalb die Wurzel des Alls, das
göttliche Feuer, auch die siebente Kraft, die aber alle andern
in sich enthält. In ihrer Ausprägung als schöpferische
und mannweibliche Sohngottheit, welche über dem
ursprünglichen kosmischen Chaos schwebt, bezeichnet er nun diese
Dynamis als »ein Bild aus unvergänglicher Gestalt, das
allein alles ordnet« .
Dieser
sechsteilige, von der trinitarischen Vater-Mutter-Sohngottheit
geschaffene Kosmos ist selbst wieder mannweiblich. Simon ordnet ihn
deshalb in drei Paaren von gegengeschlechtlichen Symbolen,
nämlich
1. Himmel
und Erde
2. Sonne
und Mond
3. Luft und
Wasser
welche aber
alle im ungeschaffenen göttlichen Feuer enthalten sind.
Aus der
Sicht der Psychologie C.G. Jungs geschieht hier Simon ein
entscheidender Einbruch archetypischer Ideen, die das damalige
zeitgenössische Weltbild korrigieren. Simon weiss sicher, dass
seit alters her die Welt in eine Quaternität von Elementen
eingeteilt wird: in das Feuer, das Wasser, die Luft und die Erde. Im
gnostischen Häretiker wird diese Quaternität nun aber
erweitert und verändert, indem das Feuer als göttliche
Energie eine Sonderstellung bekommt und die restlichen drei Elemente
mit den drei für uns Menschen wichtigsten Himmelskörpern zu
einer mannweiblichen Doppel-Triade erweitert werden .
Nachdem das
göttliche Feuer sich selbst in eine
Vater-Mutter-Sohn-Trinität ausdifferenziert und das
doppeltriadische Universum geschaffen hat, erschafft es nun den
Menschen. Der Schöpfung des Makrokosmos folgt jene des
Mikrokosmos. Gott, d.h. das göttliche Feuer, nahm Staub von der
Erde und bildete daraus den Menschen. Staub bildet den Urstoff des
Universums. Mit obiger Schöpfungsgeschichte des Menschen betont
der Gnostiker daher die Symmetrie zwischen Makrokosmos und
Mikrokosmos. Was aus demselben Material geschaffen ist, ist gleich
strukturiert und funktioniert gleich. Auch im Menschen muss deshalb
ein solches doppeltriadisches göttliches Feuer existieren,
welches zudem aus einer einzigen Wurzel, der siebenten Kraft stammt.
Wir werden im 9. Kapitel sehen, dass es sich dabei um das
energetische Prinzip der Einheitswirklichkeit (unus mundus)
handelt.
In
Abschnitt 6.2 haben ich dargelegt, dass auch das System der
tantrischen Chakras zu einer physisch-geistigen Doppeltriade
zusammengefasst werden kann, deren Mittelpunkt (die siebente Kraft)
das anahata-Chakra in der Herzgegend darstellt. Da dieses anahata das
Siegel Salomos, das Symbol dieser physisch-geistigen Doppeltriade,
enthält, kann sein energetischer Aspekt ebenfalls als die alles
zusammenfassende siebente Kraft aufgefasst werden. Die Zahl Sechs,
welche auf das Runde (Kreis) hinweist, verbindet dieses anahata der
Tantristen und das göttliche Feuer des Simon Magus mit der
Weltseele, in psychologischer Sprache mit der objektiven Psyche (dem
kollektiven Unbewussten). Die Befreiung der Weltseele scheint sich
damit offensichtlich in der Herzgegend zu vollziehen, seit alters her
der Ort der Begegnung des Menschen mit dem
Göttlichen.
Wir kommen
damit zum vorerst paradoxen Schluss, dass die Erschaffung des
Menschen gleichbedeutend ist mit der Befreiung der Weltseele aus der
Verhaftung an die Materie. Wir werden unten gleich sehen, wie dieses
Paradox sich löst.
Simon Magus
beschreibt noch eine weitere Schöpfungsgeschichte des
Mikrokosmos (des Men-schen): Gott schuf den Menschen auch nach seinem
Bilde (1.Mos.1,26). Dieses »Bild« entspricht im gnostischen
Denken dem Pneuma Gottes, welches wiederum nichts anderes als die
sechsfache Wurzel des Alls beziehungsweise das göttliche Feuer
darstellt. Wenn das Pneuma oder das göttliche Feuer zum Bild
wird, so ist dies gemäss Simon gleichbedeutend damit, dass es
aus einem unteilbaren Punkt entsteht. Damit wird zugleich das Kleine
gross. Das Grosse aber wird in Ewigkeit bestehen und nicht wieder ins
Werden eintreten.
Hier
passiert nun Simon wieder eine Selbstamplifikation des Archetypus.
Wenn nämlich der Punkt grösser wird, wird er zum Kreis. Wie
wir oben gesehen haben, entspricht aber die natürliche Teilung
des Kreises der Zahl Sechs. Die sechsfache Wurzel des Alls (das
Pneuma Gottes) und der grösser werdende Punkt, d.h. der Kreis,
bilden daher symbolisch gesehen Synonyme. Beide entsprechen zudem dem
Bild Gottes, nach welchem er den Menschen erschafft. Der Mensch als
das Bild Gottes entspricht somit dem sechsfach geteilten
Kreis.
Der nach
dem Bilde Gottes geschaffene Mensch, somit dieser sechsfach
unterteilte Kreis, wird in Ewigkeit bestehen und nicht wieder ins
Werden eintreten. Offensichtlich spricht Simon Magus hier von einem
im Jenseits nach dem Tod in Ewigkeit lebenden Menschen. Wieder
erstaunt das buddhistische Gedankengut bei Simon, denn die obige
Formulierung des Nicht-wieder-ins-Werden-Eintretens entspricht
natürlich dem aus dem Samsara anzustrebenden Nirvana. Wir werden
unten sehen, dass dieser neue Mensch im Jenseits dem durch
meditatives Bemühen im diesseitigen Leben aufzubauenden
Hauchkörper entspricht <Verweis auf unten>.
In der
archetypischen Psychosomatik, deren Methodik die Symptom-Symbol-Transformation
oder Körperzentrierte Imagination
darstellt, versucht man in einer introvertiert-meditativen Prozedur
das Symptom einer Krankheit in eine Vision zu transformieren. In der
Vision wird die »sechsfache Wurzel des Alls«
beziehungsweise das göttliche Feuer im wörtlichen Sinne zum
Bild. Da die Erschaffung des Menschen ebenfalls »nach dem
Bilde« Gottes geschieht, wird psychologisch gesehen durch die
Schau der Visionen in der meditativen Versenkung offensichtlich der
Mensch neu erschaffen. Mit diesem Schluss haben wir die Essenz der
gnostischen Schöpfungsgeschichte gefunden: Die vision
quest - welche ich unten als Symptom-Symbol-Transformation oder
Körperzentrierte Imagination näher beschreiben werde - dient der Erschaffung eines neuen
Menschen nach dem Ebenbild Gottes. Wie wir weiter sehen werden,
entspricht dieser neue Mensch dem Hauchkörper (der Frucht des
verbrennenden Baumes, s.u.), dem geistig-seelisch-körperlichen
Gefährt für das Leben nach dem Tode. Da im gnostischen
Denken der Aufbau des Hauchkörpers der Befreiung der Weltseele
aus der Materie aequivalent ist, entspricht auch dieser letztere
Prozess der Erschaffung des Menschen. Derart löst sich das obige
Paradox.
Eine
dritte, auf den ersten Blick den obigen widersprechende
Schöpfungsgeschichte sieht folgendermassen aus: Gott, d.h.
wieder diese doppeltriadische und mannweibliche feurige Kraft, bildet
den Menschen im Paradies. Mikrokosmisch gesehen entspricht laut Simon
diesem Paradies die Gebärmutter. Aus dem Paradies fliesst nach
alter Überlieferung ein Fluss, der sich in vier Ströme
aufteilt. Ähnlich beim Menschen. Dieser sich in vier
Urspünge aufteilende Fluss entspricht der Nabelschnur.
Gemäss dem antiken Arzt Galen, dessen Werk Simon Magus kannte,
befinden sich in dieser Nabelschnur fünf Gefässe,
nämlich zwei Luftadern und zwei Blutadern und in deren Mitte der
Urinleiter. Daher besteht der Mensch aus einer
Quintessenz.
Wir wissen
heute, dass diese abstrusen Ideen Galens nicht der Wirklichkeit
entsprechen. Dennoch ist für unsere Zwecke diese
Schöpfungsgeschichte des Menschen äusserst interessant.
Offensichtlich bewirkt die Selbstamplifikation des Archetypus in
Simon Magus, dass die ursprüngliche göttliche Doppeltriade
im Menschen auf eine Quintessenz - ein Gebilde wie die Fünf auf
einem Würfel - reduziert wird. Am Beispiel eines von
Marie-Louise von Franz publizierten Traumes des Physikers und
Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli habe ich gezeigt, dass diese
Reduktion der Doppeltriade auf die Quintessenz der Vereinigung von
extravertierter Exploration und introvertierter Meditation im
Menschen entspricht. Durch diese Vereinigung, welche einer
Bewusstseinserweiterung entspricht, wird der moderne Mensch in die
Lage versetzt, bewusst sogenannte Synchronizitäten wahrzunehmen.
In diesen sind äussere und innere Ereignisse sinngleich
verbunden. Die Extraktion dieses Sinnes zeigt dem Individuum den
»Willen Gottes« bezüglich den weiteren Weg desselben
in seinem Leben. In der archetypischen Psychosomatik steht die
Synchronizität hinter der unten näher ausgeführten
Methode der Symptom-Symbol-Transformation
oder Körperzentrierte Imagination(s.u.).
Diese
dritte Schöpfungsgeschichte des Simon Magus bedeutet einen
Fortschritt gegenüber den ersten zwei. Durch die Zusammenfassung
zweier Pole der Doppel-Triade (des Siegels Salomos) in der
Quintessenz entsteht eine Asymmetrie. Der Makrokosmos ist jetzt
doppeltriadisch strukturiert, der Mikrokosmos besteht aus einer
Quintessenz. Da diese letztere in einem Quadrat angeordnet ist,
beschreibt Simon Magus hier letztlich die Quadratur des Zirkels. Da
das Quadrat dem Weiblichen, der Kreis jedoch dem Männlichen
entspricht, wird hier von einer Materialisierung des Geistes
gesprochen. Eben diese Materialisierung des göttlichen Pneumas
steht aber hinter der Erschaffung des Menschen. Damit löst sich
der vermeintliche Widerspruch dieser dritten
Schöpfungsgeschichte mit den ersten zwei.
8.2 Der
verbrennende Baum und die überlebende Frucht als Symbol der
Reinkarnation im Jenseits
Das
gnostische Denken ist in seinem innersten Wesen zirkulär. Wenn
der göttliche Feuergeist den Makrokosmos und den Mikrokosmos
geschaffen hat, wird er nach einer gewissen Zeit sich wieder in sich
selbst zurückziehen und zu seinem Ursprung, nämlich zum
unteilbaren und unausgedehnten Punkt zurückkehren. Dann erfolgt
ein neuer Zyklus von Schöpfung und Vernichtung bis in alle
Unendlichkeit. Ähnlich beschreiben die Quantenphysiker den
»Tanz der Materie« als einen steten Reigen von Zeugung und
Vernichtung der Elementarteilchen. Aber auch an das buddhistische
Samsara, die Folge von Wiedergeburten im unerlösten Zustand,
wird man erinnert. Der buddhistische Mönch investiert
bekanntlich seine gesamte psychische Energie in die Meditation, durch
welche er schliesslich dem Samsara entrinnen und als Erlöster in
das Nirvana eingehen kann.
Wie steht
es diesbezüglich in der Gnosis des Simon Magus? Bleibt der
Mensch im Samsara gefangen oder hat er die Möglichkeit, ins
Nirvana einzugehen. Die Antwort lautet: Es hängt von jedem
Einzelnen ab, was mit ihm im Jenseits geschehen wird. In
diesem Erdenleben, im Hier und Jetzt der momentanen Existenz, muss
der Mensch, durch eine Arbeit an sich selbst, die Grundlage für
das Leben im Jenseits schaffen.
Der
Rückzug des göttlichen Geistes in sich selbst wird durch
ein eindrückliches Bild dargestellt, das an die Apokalypse
erinnert: Das göttliche Feuer, die ungeschaffene Dynamis,
symbolisiert Simon durch einen Baum, aus dem alles Fleisch gespeist
wird. In seiner sichtbaren Form, mit seinem Stamm, seinen Zweigen,
seinen Blättern und seiner Rinde entspricht er der inkarnierten
Form des göttlichen Feuers. Wenn sich die göttliche Dynamis
in sich selbst zurückzieht, verbrennt dieser Baum.
Dieser
Zerstörung entgeht nur die Frucht des Baumes, sofern diese
»zum reinen Bilde geworden ist und ihre Gestalt abgelegt
hat«. Derart wird es möglich, dass die Frucht in die
Scheuer gebracht werden kann und nicht im Feuer verbrennt. Wenn aber
die Frucht nicht dem obigen Transformationsprozess unterworfen wird,
wird auch sie mit dem Rückzug des göttlichen Feuers
zusammen mit dem Kosmos vernichtet. Dies deshalb, weil das in ihr
schlummernde, potentielle göttliche Pneuma, die sechsfache
Wurzel des Alls, nur Möglichkeit bleibt und nicht Wirklichkeit
wird. Gelingt dem Menschen jedoch diese Transformation der
Früchte in das Bild, werden diese zu »pneumatischen
Wesenheiten, die unvergänglich sind« und er selbst ist ein
Ebenbild Gottes geworden. Er wird als inkarniertes Pneuma
»bestehen bis in die unendliche und unveränderliche
Ewigkeit und nicht wieder ins Werden eintreten« . Man wähnt
sich beim Lesen dieser Stelle in einem buddhistischen Kloster...! Dem
Menschen kommt offensichtlich die aus christlicher Sicht
ungeheuerliche Aufgabe zu, durch obige Prozedur vom Samsara ins
Nirvana überzutreten und damit seine und die Zerstörung des
Kosmos aufzuhalten und deren Essenz in das Jenseits
hinüberzuretten. Dies aber bedeutet eine mikrokosmische und eine
makrokosmische Erlösung, welche entscheidend vom Verhalten des
einzelnen Menschen abhängt.
Wie
Leisegang richtig anmerkt, symbolisiert die Frucht die menschliche
Seele, während der Baum dem Körper entspricht (aus ihm wird
das Fleisch!). Diese menschliche Seele muss »zum reinen Bilde
werden und ihre Gestalt ablegen«. »Zum reinen Bilde
werden« heisst einerseits pneumatisch (»geistig«),
andererseits göttlich werden. Mit anderen Worten ist hier eine
Prozedur geschildert, in welcher die menschliche Seele in das in ihr
potentiell schlummernde göttliche Pneuma (»göttlicher
Geist«) oder in das göttliche Feuer verwandelt werden soll.
Da das Feuer sich selbst nicht verbrennen kann, überlebt die zum
Bilde gewordene Frucht, womit die menschliche Seele den Zustand der
Unsterblichkeit erreicht.
Bevor wir
diese Prozedur psychologisch deuten können, müssen wir uns
kurz mit dem gnostischen Geistbegriff beschäftigen. Unter
»Geist« versteht der Gnostiker »nicht unseren
modernen, ganz abstrakten Geistbegriff. Für ihn ist Geist immer
noch Stoff, wenn auch ein ganz feiner und ganz leichter, ein Hauch,
ein Fluidum«. Der »göttliche Geist« des
Gnostikers besitzt daher sehr viel Ähnlichkeit mit dem oben
erwähnten Hauchkörper. Wenn die Seele also pneumatisch
werden soll - symbolisch ausgedrückt: die Frucht des
verbrennenden Baumes soll zum Bild werden, damit sie das Weltende
überlebt -, heisst dies mit anderen Worten, dass diese Seele
sich mit einem »Geistkörper« oder eben mit einem
Hauchkörper (subtle body) verbindet, womit die Einheit von
Geist, Seele und Körper wiederhergestellt ist. Dabei handelt es
sich aber beim Körper nicht mehr um den grobstofflichen Leib,
sondern um dessen hauchkörperartige Form, welche in der
Verbindung mit der Seele im Jenseits unsterblich wird.
Die obigen
Ausführungen bewegen sich in einer »Zwischenwelt«
zwischen symbolischer Aussage und religionspsychologischer Deutung.
Um sie definitiv in die Welt der archetypischen Psychosomatik
herunterzuholen, müssen wir uns nun noch fragen, was diese
Frucht, die zum Bilde wird und dabei ihre Gestalt aufgeben muss, als
psychosomatischer Prozess bedeuten könnte. Dies soll im
nächsten Abschnitt geschehen, in welchem die wesentliche Methode
der archetypischen Psychosomatik, die Symptom-Symbol-Transformation
oder Körperzentrierte Imagination,
kurz beschrieben wird.