Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)

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      Praxis für Alternative Psychosomatik und Traumdeutung, Dr. Remo F. Roth, CH-8000 Zürich          



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Erstmals publiziert in der Zeitschrift YABYUM, Zürich, April 1999



Chakras Eros-Bewusstsein

Bilder aus dem Bauch:

Tantrismus und archetypische Psychosomatik

Die "Erweckung der Kundalini" kann zu psychischen und somatischen Krankheiten führen. Remo F. Roth zeigt, dass dagegen der bewusste Abstieg in die Triebsphäre und in den Bauch heilend wirken kann.

Der buddhistische und der hinduistische Tantrismus beruhen auf der Erfahrung, dass wir über eine Konzentration auf das Innere unseres Körpers sieben Chakras lokalisieren können, die sich in der Nähe der Wirbelsäule über den Rumpf und den Kopf erstrecken (vgl. Abb. 1). Sie werden meist als Zentren „subtiler Energien" verstanden, was immer dies auch heissen mag. Man kann jedoch zeigen, dass sie auch Zentren des vegetativen Nervensystems entsprechen. Meist werden diese sieben Chakras in einen unteren Bereich, zu den drei sogenannten niederen Chakras und in einen oberen Bereich, den drei höheren Chakras, zusammengefasst. Zwischen diesen befindet sich in der Mitte, in der Gegend des Herzens, das anahata-Chakra. Es enthält unter anderem das Symbol des Siegels Salomos (Davidstern; vgl. das Symbol des Anahata in Abb. 1), das aus je einem nach oben und einem nach unten gerichteten gleichseitigen Dreieck zusammengesetzt ist. Diese spezifische Symbolik zeigt uns, dass das Herz-Chakra die niederen drei mit den höheren drei Chakras verbindet.

Abb. 1: Die Lage der sieben Energiezentren (Chakras) im menschlichen Körper (von unten nach oben): Muladhara, Svadhisthana, Manipura, Anahata, Vishuddha, Ajna, Sahasrara. Illustriation aus Nik Douglas/Penny Slinger, Das grosse Buch des Tantra, Heinrich Hugendubel Verlag, München

Die unteren drei Chakras bilden den sogenannten sthula-Aspekt der Realität (Abb. 2). In unserer Sprache könnten wir diesen Sachverhalt als den grobstofflichen oder triebhaften Aspekt bezeichnen. So wird zum Beispiel das dritte Chakra von Agni, dem Feuergott beherrscht. Dieser entspricht seinerseits dem Prinzip der Aggression. Ebenso kann man zeigen, dass das zweite Chakra zur Sexualität und das unterste zur Exploration (Entdeckertrieb) gehören (vgl. dazu Die Chakras des Tantrismus ).

 

Die oberen drei Chakras entsprechen dem sogenannten suksma-Aspekt (Abb. 2). Wir nennen ihn auch den subtilkörperlichen oder feinstofflichen Aspekt. Dieser wird heute im Westen noch kaum verstanden und daher mit vielen verschiedenen nebulösen Formulierungen umschrieben. Ich werde im folgenden zeigen, dass diese subtile oder Hauchkörperwelt auch für uns Menschen im Westen ganz real und konkret erfahren und zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden kann.

Da das anahata die Verbindung zwischen dem sthula und dem suksma darstellt, bildet dieses Herz-Chakra auch den Ort der Transformation der Energie. Der tantrische Transfomationsprozess lässt sich also kurz folgendermassen beschreiben (Abb. 2): Die Energie soll von den unteren drei Chakras über das Herz-Chakra, das anahata, in die oberen drei aufsteigen und sich dabei vom grobstofflich-triebhaften in den feinstofflich-subtilen Aspekt der Realität umwandeln. Es lässt sich weiter zeigen, dass das anahata in einer tiefenpsychologischen Sprache der seelischen Einstellung entspricht, welche C.G. Jung Introversion genannt hat. Wir können hier also schon vermuten, dass es sich bei diesem Prozess um ein äusserst introvertiertes Geschehen handelt.

Auch der Inhalt der oberen drei Chakras lässt sich in drei Begriffen umschreiben, welche unserer westlichen Kultur geläufig sind (Abb. 2): Sie entsprechen (von unten nach oben) den Prinzipien der Meditation, des Logos und des Eros. Das Prinzip des Logos ist uns allen am nächsten, da es unsere Kultur charakterisiert. Schon das Johannesevangelium beginnt mit den Worten: „Am Anfang war der Logos". Aus Gründen, auf die wir unten zurückkommen werden, ist dieser Logos allerdings zum rationalen Intellekt degeneriert, der nur eine zweiwertige Logik anerkennt und daher das Paradox als tiefste Wahrheit ausschliesst.

Unter Eros versteht man ein kosmisches Prinzip, welches nicht das Individuum, sondern die Beziehung in den Mittelpunkt stellt. Es entspricht dem berühmten Allverbundenheits-Prinzip der Esoterik. Die Quantenphysik kennt es als das die Naturwissenschaft existenziell bedrohende Einstein-Podolsky-Rosen-Phänomen, die so genannte Nichtlokalität , welche besagt, dass augenblickliche („instant") Informationsübertragung ohne physikalische Energieübertragung möglich ist. Eros entspricht dem Zustand, den man erlebt, wenn man verliebt ist; man weiss, was die Partnerin oder der Partner denkt und fühlt, ohne dass darüber gesprochen werden muss. Und natürlich gehört auch die Sexualität zu diesem Prinzip.

Der Prozess der Wandlung der Triebenergie in den unteren drei Chakras in diese „feinstoffliche Energie" der drei obersten Chakras wird im hinduistischen Tantrismus symbolisch dargestellt durch das Aufsteigen der Kundalini-Schlange , welche vorerst um das Steissbein herum zusammengerollt ist. Der buddhistische Tantrismus verwendet dafür das Bild der drei von unten nach oben führenden Kanäle ida, pingala und sushumna, in welchen die Energie aufsteigt um sich dabei vom sthula- in den suksma-Aspekt zu transformieren. Eine der zentralen Ideen beider Formen des Tantrismus besteht darin, dass die Bewegung von unten nach oben führt. In Unkenntnis unserer vom Osten wesentlich verschiedenen Situation wird im Neo-Tantrismus eben diese Bewegungsrichtung nachgeahmt, was zu schweren psychischen und somatischen Krankheiten führen kann.

Wir müssen uns nämlich bewusst sein, dass wir uns im Westen in einer ganz anderen Situation befinden, als der östliche Tantriker. Seit der Renaissance, seit ungefähr 500 Jahren, hat der westliche Mensch diesen tantrischen Prozess nämlich schon einmal durchlaufen, allerdings nur fragmentarisch. Im Verlauf der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung wurden das aggressive und das explorative Prinzip der Triebsphäre (manipura und muladhara) ohne Einbezug des sexuellen Prinzips (svadhisthana) und ohne Berücksichtigung der Introversion, das heisst des anahata-Chakra, in das uns heute geläufige extravertiert-intellektuelle Bewusstsein transformiert (Abb. 3). Wenn daher die Esoterik heute vom ajna als dem sogenannten „dritten Auge" spricht, muss man ihr entgegnen, dass dieses vorerst einmal nichts anderes darstellt, als die Perversion des Logos, nämlich das auf den Intellekt und die Rationalität reduzierte westliche Bewusstsein (vgl. dazu Neo-Tantrismus und Visualisierung - Nachahmung des östlichen oder kreativer Neubeginn auf dem westlichen Weg? ).

Diese Entwicklung wurde wesentlich gefördert durch die Spaltung der Welt in die res cogitans (das erkennende, aber nur nach aussen gerichtete Bewusstsein) und die res extensa , die tote Materie, durch den in christlichen Klöstern erzogenen René Descartes. Da das Christentum zudem die Sexualität verteufelte, statt ihr wie im Tantrismus eine göttliche Qualität zuzugestehen, ist es wesentlich daran mitschuldig, dass die Transformation der sexuellen Energie in jene des Erosprinzips nicht stattfinden konnte . Das Fehlen des Eros als komplementäres Prinzip führte schliesslich auch zur Degeneration des Logos in den rationalen Intellekt der Naturwissenschaft.

Als Folge dieser Entwicklung nehmen wir auch die Phänomene der Materie, des Körpers und der Aussenwelt ganz anders wahr, als ein östlicher Tantriker, nämlich ausschliesslich mit Hilfe des intellektuellen Denkens und der fünf Sinne des Zentralnervensystems. Eben diese bilden die alleinige Grundlage der Naturwissenschaft, deren Blickrichtung immer nach aussen ist, und die jeden Bezug zur Innenwelt verabscheut. Auch wenn ein Arzt, beispielsweise mit einem Ultraschallgerät, in unseren Bauch hineinschaut, bedient er sich eines nach aussen gerichteten Vergrösserungsinstrumentes der fünf Sinne, um unseren Körper zu verstehen.

Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, ob und wie man den Tantrismus eventuell in unsere westliche Kultur integrieren könnte, ist es also ganz wichtig, darüber bewusst zu bleiben, dass wir im Westen bereits schon eine solche fragmentarische tantrische Entwicklung durchlaufen haben und damit an einem ganz anderen Ort als der Tantriker im Osten stehen.

Da wir uns so extrem mit dem Intellekt identifizieren, meinen wir auch, dass diese Art der Wahrnehmung der Welt, diese extravertierte Weltanschauung, die einzig mögliche sei. Psychologisch gesehen bewirkt eine derart einseitige Identifikation eine Enantiodromie , das heisst, eine unbewusste Umkehr in das Gegenteil. Dies wiederum heisst, dass das westliche Ich-Bewusstsein Gefahr läuft, unbewusst in seine Triebsphäre abzustürzen und sie extravertiert-triebhaft auszuleben. Diesen Absturz erleben wir heute mit aller Deutlichkeit: In der Naturwissenschaft, welche das Prinzip der Aggression zum alleinigen Erkenntnismodus hochstilisiert hat, als aggressive, sadistische und masochistische Sexualität, aber auch in der Mobilitätssucht, im unbewussten Ausleben des Entdeckertriebes. Diese destruktiven Verhaltensweisen haben uns an den Rand der totalen Zerstörung der Erde und des Menschen gebracht.

Als Therapeut muss ich mir in einer solchen Situation natürlich die Frage stellen, wie ein möglicher Ausweg aussehen könnte. Er besteht meines Erachtens darin, dass wir westliche Menschen diesen Abstieg bewusst vollziehen , statt unbewusst in die Triebsphäre abzustürzen. Wenn wir daher anerkennen, dass Introversion und Introspektion grosse Werte darstellen, können wir, symbolisch gesprochen, aus dem ajna, aus dem extravertiert-intellektuellen Standpunkt aussteigen, um zu versuchen, über das Herz-Chakra, das anahata, in den Bauch hinunter zu gelangen (Abb. 4). Im Gegensatz zum östlichen Menschen, der den Tantrismus so leben kann, wie er im Lehrbuch steht, beginnt unser Prozess also oben und entwickelt sich nach unten . Wie wir gesehen haben, symbolisiert das anahata die Introversion, so dass es sich dabei offensichtlich um einen äusserst introvertierten Prozess handelt, den man am besten alleine im stillen Kämmerlein vollzieht.

Dieser bewusste Abstieg des westlichen Menschen vom Kopf in die Herzregion ist im Vergleich zum Tantrismus ein ganz neuer Aspekt. Hier beginnt deshalb meines Erachtens der spezifische Weg unserer westlichen Kultur in die Zukunft des 21. Jahrhunderts . Da wir uns jedoch alle mit der Extraversion identifizieren, können wir diesen Schritt in die Introversion, vom Kopf ins Herz, des öfteren erst vollziehen, wenn eine schwere oder chronische Krankheit uns dazu zwingt.

In der Sprache des Tantrismus kann man den westlichen Weg wie folgt umschreiben: Mit Hilfe des anahata-Bewusstseins, eines zutiefst nach innen gewandten Bewusstseins, soll die von mir so genannte „Innenansicht des Körpers" wahrgenommen werden, und zwar bewusst als Gegensatz zur Aussenansicht, wie ihn die Naturwissenschaft mit Hilfe des intellektuellen Denkens (ajna), der fünf Sinne und deren Vergrösserungsinstrumenten erfährt. Dieser Prozess entspricht der Transformation des sthula-Aspekts der drei unteren Chakras in deren suksma-Aspekt. Wir im Westen stehen somit im Vergleich zum Tantrismus vor der neuartigen Aufgabe, die triebhafte Energie dieser drei unteren Zentren in deren subtilkörperlichen Aspekt zu transformieren. Dieser Prozess vollzieht sich vor allem in den unteren vier Chakras, das heisst, im Herzen und im eigenen Bauch. Dieses Geschehenlassen der Transformation im eigenen Bauch und deren Beobachtung mit Hilfe des anahata-Bewusstseins stellt eine der wesentlichsten, zugleich aber auch schwierigsten Aufgaben dar.

Dieser Prozess kann als Behandlungstechnik im Sinne einer archetypischen Psychosomatik genutzt werden (Abb. 4). Darin wird vorerst mit Hilfe meditativ-imaginativer Übungen das Kopfbewusstsein entleert und eine introvertierte Konzentration auf das Herz-Bewusstsein, auf das anahata, erreicht. In der Psychologie nennt man dies ein „abaissement du niveau mental", ein Absinkenlassen der Bewusstseinsschwelle. Mit „mental" ist das intellektuelle Bewusstsein gemeint, und dieses soll ausgeschaltet werden . Im Gegensatz zur landläufigen Meinung wird man im Laufe dieses Prozesses jedoch nicht einfach unbewusst, sondern man findet in eine neue, introvertierte Art der Bewusstheit hinein, in das Eros-Bewusstsein , welches die „Innenansicht des Körpers" beobachten kann. Auf diese Weise wird es möglich, den triebhaften sthula-Aspekt der drei unteren Chakras, das heisst, die aggressive, die sexuelle und die explorative Energie, aber auch Krankheitssymptome als Äusserungen des vegetativen Nervensystems zu erfahren. Notwendige Voraussetzung dieser introvertierten Erfahrung der „Innenansicht des Körpers" bildet dessen Stillegung, da nur so die Gewissheit besteht, dass die Energie wirklich von der triebhaften in die subtile Form transformiert wird.

Während der introvertierten Konzentration auf die drei Chakras im Bauch passiert nun des öfteren etwas ausserordentlich Interessantes: Aus diesen werden bildhafte Sequenzen befreit . Dabei spürt oder sieht man ganz deutlich, dass dieses Geschehen im Bauch und nicht im Kopf abläuft. Diese bildhaften Sequenzen - der von mir so genannte „innere Film" - entsprechen gemäss meiner Auffassung dem suksma, oder eben dem subtilen Aspekt der Triebenergie (Abb. 4). In der tiefenpsychologischen Sprache C.G. Jungs könnte man sagen, dass auf diese Weise Inhalte der unter dem kollektiven Unbewussten liegenden Triebsphäre befreit und derart aus dem körperlich-psychischen (sthula) in den geistig-psychischen Aspekt (suksma) transformiert werden.

Dieser innere Film entwickelt sich des öfteren in einer für das Bewusstsein völlig überraschenden Art und Weise. Es muss sich eingestehen, dass es nicht Herr über diesen Ablauf ist, sondern dass es hier ein völlig autonomes, vom bewussten Willen nicht zu beeinflussendes Geschehen beobachtet. Schon diese emotional meist äusserst aufwühlende Erfahrung wirkt aufbauend, ordnend, negentropisch. Eine Interpretation des inneren Films, der Visionen und Imaginationen im Sinne der Traumdeutung C.G. Jungs unterstützt und fördert den aufbauenden und heilenden Prozess.

Gemäss meiner Erfahrung lassen sich mit Hilfe dieser Betrachtung der Innenansicht des eigenen Körpers gute Resultate bei der Behandlung psychosomatischer und somatischer Krankheiten erzielen. Kranke Menschen erfahren durch die Anwendung dieser Methode, von mir Symptom-Symbol-Transformation oder Körperzentrierte Imagination genannt, dass mit der Hilfe des Absinkens in den eigenen Bauch der bildhafte Aspekt des Krankheitssymptoms befreit und bewusst erfahren werden kann. Regelmässig machen Kranke denn auch die neuartige Erfahrung eines Zentrums in der Bauchregion, welches eine qualitativ neuartige Energie ausstrahlt, die aufbauend oder heilend wirkt. Grundsätzliche Bedeutung kommt in dieser alternativen psychosomatischen Behandlungsmethode dem Umstand zu, dass es sich bei dieser Schau der inneren Bilder aus dem vegetativen Nervensystem um einen äusserst individuell erfahrenen Prozess handelt, und nicht etwa um irgendeine Theorie über die Struktur und die Eigenschaften der Chakras, die ich den Klienten aufschwatze. Die aktive, introvertierte Mitarbeit der Klientin oder des Klienten beim Heilungsprozess wird daher zentral. Die bisherigen Resultate bestätigen mir, dass die in den suksma-Aspekt transformierte Triebenergie vor allem bei Menschen mit chronischen Krankheiten, die mit Hilfe der naturwissenschaftlichen Medizin keine Besserung gefunden haben, aufbauend, ordnend und heilend wirkt.

Zum Schluss ein Beispiel : Eine Frau kommt in meine Praxis und beklagt sich über folgende psychosomatischen Symptome: Seit 20 Jahren leidet sie an einer chronischen Magenschleimhautentzündung und an einem Reizmagen, die begleitet sind von äusserst schmerzhaften Bauchkrämpfen.

Eine kurze imaginative Übung bringt die Klientin in den Bauch und der „innere Film" beginnt: „Das ist, wie wenn jemand in meinen Oberbauch eine Wunde geschlagen hätte und nun mit der Hand hineinfährt, meine Gedärme packt, zudrückt und sie drehend abwürgt." Ich rege die Klientin an, diese Hand etwas genauer zu betrachten. „Ich sehe sie nun ganz klar vor mir: Es ist die Hand des Christus des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald (heute in Colmar ausgestellt). Sie ist ‘gruusig’ gemalt, mit ‘Bibeli’ auf der Haut, von grünlicher Farbe, erinnert mich an Martyrium und Verwesung." Und weiter: „Die Hand wühlt gnadenlos. Nun beginnen die Gedärme sich zu verziehen; ich sehe sie nun grau-braun mit roten Rändern vor mir. Das kommt mir ungefähr so vor, wie die Innereien in einer Metzgerei." Pause. „Doch nun passiert etwas Neues: Die Gedärme beginnen dem Druck und dem Zug nachzugeben. Ich erkenne, dass sie sehr elastisch geworden sind." Und dann folgt eine wichtige Einsicht: „Nun halten meine Gedärme zu mir, nämlich indem sie nachgeben, statt zu reissen. Dabei werden sie aber doch recht maltraitiert." Und nach einer Weile kommt die unerwartete Wende: „Nun hat die Hand aufgehört. Sie hat genug davon, dass ich sie dauernd beobachte. Jetzt liegt sie einfach untätig herum."

Tatsächlich zeigte sich bald einmal, dass diese Christus-Hand, die sie unter beinahe unerträglichen Schmerzen marterte, dem Logosprinzip beziehungsweise der Identifikation meiner Klientin mit dem intellektuellen Denken entsprach (ihr Vater ist Jurist!). Die Symptom-Imagination führte sie zur Einsicht, dass sie offensichtlich über einen „inneren Gesichtssinn" (das „dritte Auge" im Bauch?) verfügt, mit dessen Hilfe sie aus dem Intellekt aussteigen und das Symptom in ein Symbol, ein Bild transformieren konnte. Damit war sie auch in der Lage, die Innenansicht des Körpers zu erfahren. Die Hand hatte dann tatsächlich „genug davon, dauernd beobachtet zu werden" und bedankte sich für die Tatsache, dass sie nun beachtet wurde, indem sie aufhörte, meine Klientin mit chronischen Magenkrämpfen und -schmerzen zu quälen.

Biographischer Hinweis:

Dr. Remo F. Roth wurde durch eine schwere, fast unheilbare Krankheit gezwungen, sich mit alternativen Formen des Heilens zu befassen. Auf diesem Hintergrund entwickelte er die im Text beschriebene Symptom-Symbol-Transformation zur Therapie psychosomatischer und somatischer Krankheiten sowie Angst- und Panikzuständen. Er arbeitet in eigener Praxis in Zürich. Auf Anfrage führt er Seminare in kleinem Rahmen durch.


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