Einführung
in das Synchronizitätsprinzip C.G.
Jungs
Während wir in der heutigen Welt alle
Ereignisse auf das Kausalitätsprinzip zurückführen und fragen, welche Ursache
zu welcher Wirkung führt, hat C.G. Jung gegen das Ende seines Lebens erkannt,
dass es eine Klasse von Ereignissen gibt, welche nicht kausal sind, das heisst,
dass sie keine Ursache besitzen. Sie sind vielmehr auf ein Ziel ausgerichtet,
das heisst, sie führen in ein Ereignis hinein, welches an sich keine Ursache
besitzt. Sie entsprechen daher einer Neuschöpfung. In einer religiösen Sprache
wurden solche das Kausalitätsprinzip verletzende Ereignisse seit jeher als
Wunder bezeichnet. Das dahinterstehende Prinzip nennt die katholische Kirche die
Vorsehung Gottes.
Beobachtet man über eine längere Zeit seine
Träume, wird man gewahr, dass des öfteren äussere Ereignisse passieren,
welche den Trauminhalten sehr ähnlich sind. Es scheint, als ob Innenwelt und
Aussenwelt koinzidieren würden. C.G. Jung hat daher vorgeschlagen, solche
relativ gleichzeitig stattfindende innere und äussere Ereignisse daraufhin zu
untersuchen, welcher Sinn sie verbinden könnte. Das Prinzip, welches hinter
diesen Ereignissen steht, hat er Synchronizität genannt.
Jung bringt in seinen Briefen (Bd. I, S. 487)
eine eindrückliche Erfahrung einer Synchronizität: "Zum Beispiel gehe ich
mit einer Patientin im Wald spazieren. Sie erzählt mir den ersten Traum ihres
Lebens, der einen unauslöschlichen Eindruck auf sie machte. Sie hatte einen
Geisterfuchs gesehen, der die Treppe in ihrem Elternhaus herunterlief. In diesem
Augenblick kommt, keine vierzig Meter von uns entfernt, ein wirklicher Fuchs
unter den Bäumen hervor und läuft ein paar Minuten lang ruhig den Weg vor uns
her. Das Tier verhält sich so, als wäre es Partner in der menschlichen
Situation."
Es wäre gemäss Jung falsch und äusserst
gefährlich, zwischen den beiden Ereignissen eine kausale Beziehung zu sehen und
zu sagen, dass das eine Ereignis das andere verursacht habe. Dies wäre nichts
anderes als ein Rückfall in ein mittelalterliches magisch-kausales Denken.
Vielmehr müssen wir annehmen, dass die beiden Ereignisse nicht kausal, sondern
durch einen gemeinsamen Sinn verbunden sind. Diesen Sinn gilt es zu extrahieren,
indem man das Symbol "Fuchs" zur Deutung verwendet. Die Deutung dieser
Synchronizität würde somit in etwa besagen, dass die Träumerin sich -
symbolisch gesprochen - viel mehr von ihrem „inneren Fuchs" führen
lassen müsste, das heisst, dass sie wieder zu ihrer instinktiven Schlauheit
zurückfinden muss, die sie offensichtlich durch eine zu intellektuelle
Einstellung verloren hat.
Wenn man viele solche
Synchronizitäten erlebt hat, gewinnt man mit der Zeit den Eindruck, dass darin
ein Wissen um die Zukunft verborgen liegt, welches unser bewusstes Wissen bei
weitem übersteigt. Es zeigt sich zudem, dass das Innen, d.h. die Traumwelt oder
das sogenannte Unbewusste, etwas über das Aussen weiss, aber auch das Aussen,
die belebte oder sogar die unbelebte Materie, etwas über das Innen. C.G. Jung
hat daher das Postulat aufgestellt, dass es eine Welt geben muss, in welcher
Innen und Aussen, Psyche und Materie noch in einer ununterscheidbaren Einheit
vereinigt sind. Diese Welt hat das Mittelalter den unus
mundus, die Eine Welt genannt. Diese muss man sich als eine
potentielle Welt vorzustellen, aus welcher ursachelose Neuschöpfungen geschehen
können. Synchronizitätsereignisse zeigen dann den Zeitpunkt, wann sich diese
potentielle Welt in der konkreten inkarnieren will.
Im obigen Beispiel war im Moment des
Auftauchens des Fuchses im Wald der Zeitpunkt gekommen, in welchem die
betroffene Frau aus ihrem Intellektualismus aussteigen und zu ihrer instinktiven
Schlauheit zurückfinden konnte. Jung wird ihr in diesem Moment wahrscheinlich
etwa folgendes gesagt haben: "Sehen Sie, nun ist auch aussen der
Fuchs, das Symbol der instinktiven Schlauheit, in ihre Welt eingetreten und will
sie durch ihr weiteres Leben führen. Vergessen sie daher all ihre Wenn und
Aber, überwinden sie derart ihre intellektuelle Blockierung und beginnen sie
wieder auf ihre instinktive Weisheit zu vertrauen, welche ihnen den richtigen
Weg zeigen wird." Durch das Erlebnis und die Deutung dieser Synchronizität
wurde das Bewusstsein der Klientin schlagartig gewandelt, und dieses
eindrückliche Ereignis wurde derart zu einem Neubeginn, der ihrem Leben einen
ganz neuen Sinn gab.
Physikalisch gesehen führt das Prinzip der
Kausalität letztlich in die sogenannte Entropie, das heisst in den Wärmetod
des Universums. Die Energiedifferenzen zwischen verschiedenen Teilen nehmen
immer weiter ab, bis keine Unterschiede mehr bestehen; da keine Energie mehr
fliessen kann, ist alles Leben erloschen.
Aehnliches lässt sich im psychischen Leben
beobachten. Menschen, die zu lange dem kausalistischen Weltbild verhaftet
bleiben, beginnen langsam aber sicher schon während diesem Leben zu sterben.
Sie werden zu "lebenden Toten". Daher sagen die Sufis - die Mystiker
des Islam - das weise Wort: "Stirb, bevor du stibst!" Sie meinen
damit, dass in solchen Menschen eine Umorientierung stattfinden sollte, welche
bewirkt, dass das Bewusstsein dann viel eher dem synchronistischen als dem
kausalistischen Prinzip verbunden sein wird. Dieses Loslassen des Alten und
Bewährten, dieses Aufgeben des Machtprinzips, des "Wo ein Wille ist, ist
auch ein Weg!", wirkt wie ein Jungbrunnen. Solche Menschen beginnen ein
zweites Leben, welches sich auf das Prinzip der Synchronizität abstützt. Sie
beginnen, sich von Zufällen leiten zu lassen und die Träume zu Hilfe zu
nehmen, um verstehen zu lernen, wohin der weitere Lebensweg führt. In ganz
kritischen Momenten ereignen sich dann auch Synchronizitäten, welche das Ziel
des Lebens aufzeigen.
Erfahrungsgemäss wirken solche
Synchronizitäten negentropisch, das heisst, sie bauen neue psychische
Energiefelder auf, welche ihrerseits wiederum zu neuen Lebensmöglichkeiten
führen. Auf diese Art und Weise wachsen Menschen, welche ihre Träume und
Synchronizitäten ernst nehmen, in ein neues, von tiefem Sinn erfülltes Leben
hinein. Damit haben sie aber gleichzeitig den alles tötenden kausalistischen
Zeitgeist überwunden und sind in den Zeitgeist des neuen Zeitalters
eingetreten, welcher sich am Horizont des neuen Jahrtausends abzeichnet.