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Remo F. Roth
Dr. oec. publ., Ph.D.
dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v.
Franz)
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©
2005 by Pro Litteris, Zurich, Switzerland and Remo F. Roth, Horgen-Zurich.
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Der
Briefwechsel zwischen Wolfgang Pauli und C.G. Jung
Ein Dokument des ungelösten
psychophysischen Problems des 20. Jahrhunderts
Kapitel 3:
1934: Niklaus
von Flües Radbild und Wolfgang Paulis Weltuhr-Vision
zurück
3.1
Die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz und das Radbild
Ich
bin im ersten Kapitel kurz auf Niklausens Vision vom erschreckenden
Gottesbild und das von ihm daraus abgeleitete Radbild eingegangen. Wir
haben gesehen, dass Wolfgang Pauli die Vision des Niklaus und seinen
verschollenen Traum von den drei Riesenpferden über das gemeinsame
psychische Phänomen der tiefsten Angst verbindet. Da einerseits
Niklaus in einem langjährigen Verarbeitungsprozess das Radbild aus
der Vision des erschreckenden Gottesantlitzes abgeleitet hatte und
andererseits Pauli die drei Pferde mit den drei Rhythmen der Weltuhr
verbindet, sind indirekt auch das Radbild und die Weltuhr assoziativ
verknüpft. Ich will in diesem Kapitel daher aufzeigen, welcher
tiefere Zusammenhang zwischen den beiden Mandalas herrscht, deren
Schau ungefähr 450 Jahre auseinander liegt, die aber einen ähnlichen
Inhalt auszudrücken scheinen. Aus diesen Schlussfolgerungen soll dann
die dritte Hypothese abgeleitet werden.
Niklaus
von Flüe wurde im Jahr 1417 in Sachseln (in der Nähe von Luzern)
geboren und starb siebzigjährig im Jahr 1487.
Er soll schon im Mutterleib Visionen gehabt haben,
die sich während seines irdischen Lebens fortsetzten und in der
sogenannten Vision
vom erschreckenden Gottesantlitz (vgl. Abb. unten)
kulminierten. Diese letzte uns bekannte Vision, die ich in Abschnitt
1.4 schon kurz erwähnt habe, überfiel Niklaus von Flüe ungefähr
zehn Jahre vor seinem Tod, also ungefär im Jahr 1477. Gemäss dem
Bericht des Humanisten Bovillus trug es einen »fürchterlichen, von
Zorn und Drohung erfüllten Ausdruck«
und wurde daher schon früh mit dem Christus der apokalyptischen
Offenbarung, I,13 in Verbindung gebracht.
Der
doppeltrinitarische Gott des Niklaus von Flüe
Der Gott des Niklaus trägt
eine dreifache Krone und einen dreifach geteilten Bart,
womit schon hier die Doppeltriade betont ist. Ebenso
erschreckend wie der Gesichtsausdruck scheinen sechs »Schwertklingen
ohne Handgriff« zu sein, welche abwechselnd in dieses Gesicht ein-
und ausgehen: Eine dieser Klingen geht aus der Stirn hervor und
richtet sich nach oben, zwei weitere stechen in die Augen und Ohren,
die nächsten zwei gehen aus der Nase hervor und die letzte
durchsticht den Mund.
Wie
schon C.G. Jung gesehen hat,
ist diese Vision völlig undogmatisch, ja sogar häretisch, denn der
Gott der Christen konnte und kann nur gut sein, da ihm der triebhafte
Aspekt, der Jahwe noch auszeichnet, von den Kirchenvätern
wegdefiniert wurde.
In
meinem Buch Die Gottsucher
habe ich gezeigt, dass sich der häretische Charakter dieser Vision
nicht nur auf das summum bonum
bezieht, sondern ebenfalls auf die eindeutig doppeltriadische Struktur
der Schwertklingen, die noch betont wird durch die Doppeldrei von
Krone und Bart, von Oben und Unten!
Während
der Vision erlebt Niklaus eine höchst beängstigende psychosomatische
Reaktion: Sein Herz droht in Stücke zu zerspringen, und er stürzt
zur Erde. Dies und seine spontane Reaktion, dass er sofort seinen
Blick davon abwendet, bewirkt offensichtlich, dass er der überwältigenden
Erscheinung nicht mehr völlig ausgeliefert ist. Sie zeigt aber auch,
dass es sich bei diesem Gottesbild nicht um den “lieben Gott” des
Christentums handeln kann.
Niklaus
von Flüe überträgt im Prozess der Verarbeitung der Vision die »Schwertklingen«
in sein Radbild (vgl. Abb. links), und er nennt sie dort »Speichen«. Orientiert man
sich mehr am Bild als am Wort, sieht man jedoch sofort, dass er keine
Speichen, sondern
ausgesprochene Lanzenspitzen (oder Schwertspitzen) gezeichnet hat. Aus
dieser Tatsache der je drei entgegengesetzten Lanzenspitzen wird
unmittelbar klar, dass Niklaus im Radbild die Asymmetrie der in der
Vision geschauten Gebilde übernimmt und sie nicht etwa zu Radspeichen
umformt. Einem unbewussten oder eher vorbewussten Drang folgend, unterstreicht er somit den doppeltriadischen
Aspekt der Zahl Sechs. Durch die Betonung der Gegensätzlichkeit
der beiden Triaden hat er sich unbewusst aber endgültig vom Bild der
christlichen Trinität gelöst und diese in eine Doppeltrinität
erweitert. Struktural betrachtet entspricht diese natürlich dem
Siegel Salomos, dem Wahrzeichen der Alchemie (vgl. Abb. links), sowie
auch dem zentralen Symbol des Herz-Chakras
des Tantrismus (vgl. Abb. rechts).
Inhalte
des kollektiven Unbewussten brechen in einer derart erschreckenden Art
und Weise in das Bewusstsein nur ein, wenn dieses auf einer überholten
Anschauung beharrt und daher einen im vorbewussten Wissen des
Unbewussten vorhandenen Wandlungsapekt noch nicht begriffen hat.
Psychologisch gesehen müssen wir an dieser Stelle daher schliessen,
dass Niklaus offensichtlich einen wesentlichen Inhalt, nämlich die
Transformation von einem trinitarischen zu einem doppeltrinitarischen
Gottesbild, welches, wie wir gesehen haben, in der früheren Vision
von der Lilie, die vom Pferd gefressen wird schon aufgetaucht war,
noch nicht verstanden hat. Wir wissen denn auch, dass Niklaus
versuchte, die Doppeltrinität in die Trinität der Kirchenväter
umzudeuten.
Wie C.G. Jung betont,
blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn sonst wäre er als Häretiker
angesehen und entsprechend behandelt worden.
Mir
persönlich scheint jedoch, dass Niklaus von Flüe über die Bedeutung
seiner Vision viel mehr gewusst hatte, als er preisgab. Die Ahnung,
dass er der Inquisition in die Hände hätte fallen können, erklärt
vielleicht, warum er sich über diese Vision weit mehr in Schweigen hüllte,
als über die anderen Erscheinungen.
Sein
Schweigen nötigt uns daher, das in der Vision und in dem daraus
abgeleiteten Radbild symbolisch vorhandene Wissen über das erneuerte
Gottesbild mit Hilfe der Amplifikationsmethode C.G. Jungs zu
extrahieren und in eine im 21. Jahrhundert verständliche Sprache zu
übersetzen. Dies soll
in den folgenden Abschnitten geschehen.
Die
Zerstörung der Sinnesorgane des anthropomorphen
Gottesbildes und die Konzentration auf das vegetative Nervensystem
Die
drei nach innen gerichteten Schwertklingen durchstechen den Mund und
die Augen, vielleicht auch die Ohren des Gottesantlitzes. Als
einfacher Bauer stellte sich Niklaus Gott natürlich als ein
menschliches Wesen vor, das zwar übermenschlich, aber gleich
geschaffen ist wie die Krone der Schöpfung. Man nennt ein solches
Gottesbild anthropomorph, also menschenähnlich. Diese Tatsache
bedeutet speziell, dass auch Gott dieselben Sinnesorgane besitzen muss,
wie der Mensch.
Ein
Gott, der über einen Kopf mit menschlichem Gesicht und damit über
Gehirn und Sinnesorgane verfügt, wird in der Vorstellung der Gläubigen
auch in ähnlicher Weise über diese verfügen. In der Terminologie
der Typologie
C.G. Jungs ausgedrückt würde dies heissen, dass
das christliche Gottesbild extravertiert orientiert ist und mit Hilfe
des Denkens und der Empfindung (sensation) funktioniert. Typologisch
gesehen dürfte die Idee eines christlichen Gottes also dem
extravertierten Denk-Empfindungs-Typus entsprechen.
In
Niklausens Vision werden diesem Gott nun aber die Sinnesorgane zerstört.
Psychologisch gesehen bedeutet diese Ruinierung der Sinnesorgane
eines als anthropomorph (menschenähnlich) gedachten Gottes, dass das
vorbewusste Wissen des kollektiven Unbewussten Niklaus zeigen will,
dass sich in ihm das christlich-dogmatische Gottesbild gewandelt und
erneuert hat: Da
die nach aussen gerichteten Sinnesorgane des Zentralnervensystems
zerstört sind, ist der erneuerte Gott offensichtlich nur über das
nach innen gerichtete vegetative Nervensystem erfahrbar.
Wir
können nun die gewaltige Revolution einigermassen ermessen, die sich
vor mehr als 500 Jahren im Schweizer Heiligen abgespielt hat. Das
vorbewusste Wissen des kollektiven Unbewussten ruiniert ihm – mitten
im zutiefst gottesgläubigen Mittelalter – das christliche
Gottesbild und ersetzt es durch eines, das viel eher jenem des
Tantrismus (s. dazu unten) gleicht und nur introvertiert über das
vegetative Nervensystem wahrgenommen werden kann. Die Ausschaltung der
Sinnesorgane soll dem Mystiker daher auch zeigen, dass er in seinen
letzten Lebensjahren eine Phase der tiefsten Introversion leben muss.
Das
abstrakte Gottesbild des Niklaus als Hintergrund einer
Energietransformation
Im Laufe
seiner letzten Lebensjahre verarbeitet Niklaus von Flüe diese fürchterliche
Vision zu seinem berühmten Radbild
(vgl. Abb. links). Wie wir gleich sehen werden, zeigt sich darin nun
definitiv, dass sowohl die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz als
auch die frühere von der Lilie sein christliches Gottesbild kompensieren und ihm
ein erneuertes zeigen wollten. Da die Dogmatik der katholischen
Theologie nie anerkennen konnte, dass im kollektiven Unbewussten der
christlichen Menschheit ein erneuertes Gottesbild konstelliert sein
kann, das in Einzelnen dann plötzlich durchbricht, wird dieser
Tatbestand von der Kirche konsequent geleugnet.
Niklaus
wird daher als linientreuer Kirchenmensch dargestellt und ihm wird
sogar unterstellt, der Autor eines eher sentimentalen und kitischigen
Bildes, des sogenannten Dreifaltigkeitsbildes,
zu sein, das in der Kirche Sachseln heute noch ausgestellt ist. Eine
Kombination der Vision und des Radbildes wird von sechs Medaillons mit
christlichem Inhalt umrahmt (vgl. Abb. rechts), die aber
nachgewiesenermassen nicht von Niklaus
stammen, sondern eine spätere
Hinzufügung darstellen. Zudem
wurde das ursprüngliche schreckenerregende Antlitz durch eine gütiges
Gesicht Gottes übermalt, wie man bei genauerem Hinsehen entdecken
kann. Leider wird derart in einer geradezu absurden Verfälschung der historischen Tatsachen
Niklaus von Flüe – “der einzige hervorragende schweizerische Mystiker von Gottes Gnaden, [der] unorthodoxe Urvisionen hatte und unbeirrten Auges in die Tiefen jener göttlichen Seele blicken durfte, welche alle, durch Dogmatik getrennten Konfessionen der Menschheit noch in einem symbolischen Archetypus vereinigt enthält” (C.G. Jung) – immer wieder für die katholische Kirche vereinnahmt.
Aus leicht einsichtigen dogmatischen Gründen –
Gott ist für immer und ewig als Trinität definiert, Punkt! – wird
auch immer wieder behauptet,
dass das Radbild und die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz nicht
zusammengehören. C.G. Jung hat jedoch mit Hilfe einer
tiefenpsychologischen Argumentation diese theologische Dogmatik
zerzaust.
Seine
Argumentation überzeugt mich, da sie keine der hinlänglich bekannten
theologisch-intellektuellen Seiltänzertricks auf der Grundlage einer völlig überholten
Dogmatik
darstellt, sondern streng empirischen (aus der Beobachtung
abgeleiteten) tiefenpsychologischen Schlüssen folgt. Ich kann mir
daher vorstellen, dass diese Folgerungen auch für alle jene
Therapeuten und Aerzte von grosser Bedeutung sein könnten, die in
ihren Therapien mit derartigen schwierigen Übergangsphasen im Leben
ihrer Patienten konfrontiert sind.
C.G.
Jung widerspricht also der dogmatischen Ansicht vehement und
postuliert,
dass das Radbild eine Verarbeitung der Vision darstellt. Er
argumentiert, dass die Vision Niklaus völlig verwirrt habe – wie
kann wohl der gute Gott des Christentums derartige geistig-seelische
Verwirrung stiften? – und er in Gefahr gewesen sei, sich aufzulösen.
Als Psychiater meint Jung damit natürlich eine Psychose. Seine
Erfahrung – und hier kommt der empirische Standpunkt hinein, den der
theologische Starrsinn so sehr vermissen lässt – habe ihm jedoch
gezeigt, dass in eben derartigen kritischen Momenten aus dem
kollektiven Unbewussten symmetrische Strukturen auftauchen, die das
Chaos ordnen und so aus der Krise hinaus führen. Diese Strukturen,
die die Betroffenen spontan zu malen beginnen, bezeichnete der
Tiefenpsychologe in Anlehnung an den Tantrischen Yoga und den
Lamaismus als Mandalas.
Aus tiefenpsychologischer Sicht können wir daher mit grösster
Wahrscheinlichkeit postulieren, dass das Radbild einem solchen Mandala
entspricht, mit dessen Hilfe der Mystiker die fürchterliche
Gottesvision langsam verarbeiten und assimilieren konnte.
Geht
man also rein empirisch vor, und vergleicht man daher die ursprüngliche
Vision mit dem daraus abgeleiteten Radbild, fällt als erstes auf,
dass im Schweizer Nationalheiligen im Gegensatz zur katholischen
Auslegung eine ausgesprochene Tendenz bestanden zu haben scheint,
mit Hilfe des Radbildes vom
menschenähnlich gedachten göttlichen Antlitz zu abstrahieren und
den anthropomorphen christlichen Gott durch ein Konzept der
Energietransformation zu ersetzen. Das
Symbol des Rades eignet sich wie kein anderes dazu, da dessen tiefste
Symbolik eben in einer Energietransformation
liegen dürfte. Bereits hier zeigt sich offensichtlich, dass
im
Unbewussten des Niklaus ein erneuertes Gottesbild konstelliert ist,
dessen wesentlichste Inhalte die Struktur einer Doppeltrinität und
eine darin stattfindende Energietransformation darstellen.
Zusammenfassend
können wir somit als Erstes feststellen, dass in Niklaus von Flüe
schon vor mehr als 500 Jahren ein erneuertes Gottesbild konstelliert
war, das durch die Aspekte der Doppeltrinität, der Abstraktion und
einer über das vegetative Nervensystem wahrnehmbaren
Energietransformation ausgezeichnet ist. Damit wird jedoch das
statische Bild des christlichen Gottes
im
Schweizer
Mystiker
in völlig revolutionärer
Weise zu einem sich stetig wandelnden introvertiert-körperlich
erfahrbaren Dynamismus.
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