Praxis für Alternative Psychosomatik und Traumdeutung, Dr. Remo F. Roth, CH-8001 Zürich

Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)



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Weitere Artikel über Wolfgang Pauli und seine wissenschafltiche Beziehung zu C.G. Jung und Marie-Louise von Franz, siehe in Psychovision, Synchronicity page

Pauli-Effekt

 

Wolfgang Pauli und die Wiederkehr der Weltseele

[erweiterte Fassung vom 15.2.2002]

1. Die Weltseele in der Naturphilosophie und in den Weltreligionen

2. Die Verdrängung der Weltseele im 17. Jahrhundert und deren Wiederkehr im Pauli-Effekt

3. Die Unvollständigkeit der Quantenphysik in Bezug auf die Beobachtung des Einzelfalles

4. Die "schwarze Messe" des quantenphysikalischen Experimentes und deren "Nacheffekte"

5. Ein möglicher Weg zu einer neuen Geschlossenheit des Weltbildes


 

Wolfgang Pauli und die Wiederkehr der Weltseele

[erweiterte Fassung vom 15.2.2002]

 

1. Die Weltseele in der Naturphilosophie und in den Weltreligionen

Es dürfte den Wenigsten bekannt sein, dass der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli sich während fast 30 Jahren seines Lebens, vom Jahr 1930 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1958, intensiv mit Phänomenen auseinander gesetzt hat, die den meisten heutigen Physikern "esoterisch" oder "metaphysisch" erscheinen würden. Ein solches Phänomen ist die so genannte Weltseele (vgl. dazu Die alchemistische Weltseele, das kollektive Unbewusste C.G. Jungs und die Konzepte der modernen Physik) der mittelalterlichen Alchemie.

weltseele.gifDieses Prinzip der Weltseele findet sich vor allem bei Paracelsus. Dort ist sie - eine ungeheuerliche Häresie des alchemistischen Arztes - co-aetern (gleich ewig) mit dem christlichen Gott und daher ein increatum (ein Ungeschaffenes). Dies heisst speziell, dass sie ein dem christlich-männlichen Gott ebenbürtiges weiblich-göttliches Prinzip darstellt.

Die Weltseele spielt aber auch im alten Testament als Sophia oder Sapientia Dei eine grosse Rolle, in der Kabbalah erscheint sie als die sogenannte Schechina, welche jedoch ins Exil verbannt wurde. Im Katholizismus besitzt die Gottesmutter Maria gewisse Eigenschaften der Weltseele, kann deren umfassendes Wesen allerdings bei weitem nicht ausfüllen. Im Hinduismus kennen wir sie als den weiblichen Aspekt der Trimurti (Trinität) Brahma, Vishnu und Shiva, als deren Shakti.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass es sich bei der Weltseele um ein kosmisches Prinzip handelt, das eigentlich universal vorhanden ist. Doch kam Wolfgang Pauli, der über eine klassische Bildung verfügte und die alchemistischen Texte im Original lesen konnte, zum Schluss, dass im Laufe der Entwicklung der westlichen Naturwissenschaft dieses Prinzip ins Unbewusste versank. Er bemühte sich daher herauszufinden, wie dieser Prozess vonstatten gehen konnte.

 

2. Die Verdrängung der Weltseele im 17. Jahrhundert und deren Wiederkehr im Pauli-Effekt

Ursprung dieses Bemühens war nicht in erster Linie ein wissenschaftshistorisches Interesse, sondern ein Phänomen, das als der so genannte Pauli-Effekt in die Geschichte der Physik eingegangen ist. Wie viele seiner Kollegen bestätigen, ging von Pauli eine geheimnisvolle Aura aus. Dies zeigte sich auch in seltsamen parapsychologischen Ereignissen, an die Pauli selbst glaubte, und die wir heute als Makro-Psychokinese oder als Psychokinese statischer Objekte (oder personengebundenen Spuk) bezeichnen würden. So sass er beispielsweise im damals berühmten Café Odeon in Zürich am Fenster und grübelte über die Probleme mit seiner Gefühlswelt nach. In diesem Augenblick fing vor seinen Augen ein Auto Feuer (tiefenpsychologisch ein Symbol für "Emotion", "Affekt"). Als im Jahr 1948 das Zürcher C.G. Jung-Institut eingeweiht wurde, war Pauli als Gründungsmitglied ("Patron") eingeladen. Als er den Raum betrat, fiel aus unerklärlichen Gründen ohne äussere Einwirkung eine chinesische Vase zu Boden (vgl. dazu Wolfgang Paulis psychophysischer Monismus und Wolfgang Pauli's Fludd/flood Synchronicity). Sein Kollege Otto Stern verbot ihm sein Hamburger Labor, weil bei einer Anwesenheit Paulis die meisten Experimente aus unerklärlichen Gründen missglückten. Als in Göttingen wieder einmal ein Experiment trotz der Abwesenheit des Störenfriedes "in die Hosen ging", ging man der Sache auf den Grund und fand heraus, dass genau zum Zeitpunkt dieses Experiments Pauli auf dem Weg nach Kopenhagen mit dem Zug an Göttingen vorbeigefahren war. Aber auch den Brand im Zyklotron von Princeton in der Nacht vom 21. zum 22. Februar 1950 brachte Pauli mit der Anwesenheit seiner Person in Verbindung.

Im Jahr 1996 wurde der erste Teil des vierten Bandes des Wissenschaftlichen Briefwechsels Wolfgang Paulis publiziert. Dort drin findet sich ein Brief vom 13. Oktober 1951 an seinen Zürcher Kollegen Markus Fierz, mit dem er in einem regen Briefwechsel viele seiner Ideen über Erkenntnistheorie, Tiefenpsychologie und Metaphysik und deren Zusammenhang mit der Quantenphysik formulierte. Dieser Brief fasst wesentliche Gedanken Wolfgang Paulis über die von mir so genannte "Wiederkehr der Weltseele" zusammen. Er bildet daher ein einzigartiges Dokument für den Nachweis, dass Pauli den nach ihm benannten parapsychologischen Effekt mit der Rückkehr eines seit bald 400 Jahren verdrängten Prinzips in Verbindung brachte, das m.E. in der allernächsten Zukunft die Fundamente der modernen Physik erschüttern dürfte.

Im folgenden möchte ich daher die Gedanken Wolfgang Paulis darlegen und sie weiter ausdeuten. In Ergänzung zu K.V. Laurikainens Ausführungen [Laurikainen, 1988], die vor allem auf Paulis erkenntnistheoretische Schlüsse eingehen, sollen hier einige tiefenpsychologische und parapsychologische Folgerungen erläutert werden. Letzere erscheinen mir deshalb wichtig, weil Pauli selbst noch zur Einsicht gekommen war, dass die moderne Physik mit der Parapsychologie verschmolzen werden muss, um die heute konstellierte Wiederkehr der Weltseele adäquat zu erfassen (vgl. dazu Wolfgang Pauli und die Parapsychologie). Es wird sich zeigen, dass bei einer derartigen Betrachtungsweise die Rolle des Individuums ganz zentral wird, weshalb am Ende einige hypothetische Schlüsse über zu erwartende Auswirkungen auf die individuelle Psyche und mögliche Lösungsansätze erarbeitet werden sollen.

Pauli schreibt im Brief an Fierz, dass im Neuplatonismus der Renaissance die anima mundi, die Weltseele, ein ganz wesentliches Prinzip darstellte. Jeder Planet habe damals noch eine Einzelseele besessen. Doch stelle sich hier die Frage nach dem Prinzip von deren Beziehung. Diese Beziehung sei seelischer Art gewesen, nämlich eben mit Hilfe der anima mundi, "an der ja die Einzelseelen teil haben". Doch sofort macht Pauli nun eine äusserst wichtige Einschränkung. Er bemerkt: "Ich sehe Herrn Fludd vor mir, wie er bei dem Wort ‚Teil' sofort die Stirne runzelt." Daher schlägt er vor, statt des Ausdrucks "die Einzelseelen haben an der Weltseele teil" besser den Ausdruck "die Einzelseelen sind mit der Weltseele identisch" zu verwenden.

Obwohl Pauli dies nicht explizit ausspricht, sieht man doch, dass er der Meinung ist, dass es eben diese Identität von Teil und Ganzem ist, die der Weltseele die Fähigkeit verleiht, mit Hilfe des ihr inhärenten Prinzips der ‚anima movens' die Bewegung der Planeten am Himmel zu erzeugen, die jeder Mensch wahrnehmen konnte.

Wie der Nobelpreisträger weiter ausführt, ergab sich im 17. Jahrhundert nun plötzlich eine unbewusste Wandlung im Hintergrund des damaligen Weltbildes,

"die anima mundi kam aus der Mode, diese Idee verblasste ... Und eben durch die so entstandene Lücke drang Proportion, Geometrie, Mathematik in die Ideen über die Bewegung ein und drängte zur Empirie, zur Messung."

Obwohl sich heute die Diskussion um den sogenannten Holismus dieser speziellen Art der Verbundenheit zwischen Teil und Ganzem bemächtigt hat, ist der Nexus dieses Phänomens und vor allem sein Zusammenhang mit der Einstellung des Bewusstseins noch weitgehend ungeklärt. Daher dürfte es sich lohnen, die von Pauli geahnte Wandlung des Kollektivbewusstseins aus tiefenpsychologischer Sicht zu untersuchen.

Während im Mittelalter die Weltseele als weiblich-göttlicher Hintergrund die Ordnung in der Natur durch ein Prinzip der Identität von Teil und Ganzem herstellte, die hinter jenem der Bewegung und damit der Veränderung stand und der von Paracelsus eingeführten Mikrokosmos-Makrokosmos-Beziehung sehr ähnlich war, wird nun die Aufmerksamkeit auf das Teil (den einzelnen Planeten) gerichtet. Das Band zwischen diesen Teilen und damit auch das Ganze, die Weltseele, werden überflüssig. Zudem bekommt mit den von Johannes Kepler (1571 - 1630) entdecken Gesetzen der Planetenbewegungen das Bewusstsein des Menschen die Möglichkeit, die Bahnen dieser Planeten zu berechnen. Eine ganz zentrale Fähigkeit der anima movens, die bis jetzt im Bereich des Göttlichen, modern gesagt im Bereich des kollektiven Unbewussten geschlummert hat, kommt nun in den Bereich des Bewusstseins. War es bis anhin die "innere Bewegtheit" des mystischen Einheitserlebnisses, die mit dem Prinzip der anima movens, der Bewegungsfähigkeit der weiblich-göttlichen Weltseele verschmolzen war, ist es von nun an das mathematische Gesetz, somit letztlich das Unbewegte, das die Bewegung mit Hilfe der neu erfundenen Infinitesimalrechnung beschreibt; die Welt der kausalen Naturgesetze, in der, von der ursächlichen Anfangsbedingungen ausgehend, jede Wirkung exakt bestimmt ist, war geboren.

Mit Isaac Newtons Mechanik erlernt die Menschheit dann auch die Gesetze, die es ihr ermöglichten, nicht nur die Regeln der Planetenbahnen zu verstehen, sondern die Anfangsbedingungen solcher Regeln selber zu setzen und so als homo faber eigene "Geschöpfe" ins Leben zu rufen, die nach diesen Regeln funktionieren. Damit wurde die anima movens, die Bewegungsfähigkeit der göttlichen Weltseele, endgültig ihrer Göttlichkeit beraubt und durch die Bewegungsgleichungen (die Differentialgleichungen der Infinitesimalrechnung) ersetzt. In diesem Moment wurde somit eine bisher dem Gottesbild zugehörige mächtige Eigenschaft, nämlich die Möglichkeit Bewegung zu erzeugen, dem bewussten Willen des Menschen zugänglich. Das mechanistische Weltbild war geboren, in dem eine göttliche, das heisst, vom menschlichen Willen unabhängige Weltseele keine Rolle mehr spielen konnte, da ja alle Abläufe durch das menschliche Bewusstsein berechenbar geworden waren und daher keines weiblich-göttlichen Prinzips mehr bedurften, das sie durch eine spezifische Art der Bezogenheit steuerte, in der Teil und Ganzes noch eine Einheit und Materie und Psyche in dieser Einheit vereinigt waren.

In seinem Brief weist Pauli nun darauf hin, dass diese Entseelung der Materie auch zur Idee des absoluten Raumes (Newton) führte. In einem solchen "entseelten Raum" war aber auch die Beziehung der Seele zur Materie nicht mehr definiert. Daher wurde diese Beziehung "ein besonderes Problem, das im Dämmerlicht des [RFR: psychophysischen] 'Parallelismus' verschwand".

Auf diesen "im Anschluss an Leibnitz und Spinoza ausgebildete Begriff des [psychophysischen] Parallelismus" kommt Pauli in seinen Briefen immer wieder zu sprechen. Später nennt er ihn einen "geistigen Nebelflecken", da er bei der Gültigkeit des kausalen Prinzips völlig überflüssig sei. Die Beziehung zwischen Psyche und Materie müsse man daher viel eher im Sinne von Jungs Synchronizitätsprinzip (vgl. Einführung in das Synchronizitätsprinzip C.G. Jungs) sehen.

Doch kehren wir zurück zum Brief an Markus Fierz. Pauli meint nun, dass man bei der Vetreibung der Weltseele im 17. Jahrhundert offenbar zu weit gegangen sei. Darunter begännen wir nun zu leiden. Von da her kämen "revenues" (Wiedergänger) der anima mundi, "die mich nachts, und zuweilen auch tags, verfolgen". Wie ein späterer Brief an Fierz ausweist, meint Pauli mit der nächtlichen Verfolgerin eine weibliche Traumfigur, eine "Chinesin mit Schlitzaugen", die die "Trägerin 'psycho-physischer Geheimnisse' betreffend der Einheit von Physis und Psyche im allgemeinen, parapsychologischer im besonderen" sein soll. Ja, sie sei sogar "bereits jene Einheit von Materie und Psyche, die für unsere Wissenschaft das ungelöste psycho-physische Problem ausmacht."

Diese Chinesin spielt eine ganz zentrale Rolle in Paulis Träumen. In einem Traum, den Pauli fast ein Jahr (am 29.9.52) nach dem Brief an Fierz träumt und den er sowohl Marie-Louise von Franz und C.G. Jung zur Deutung vorlegt, verursacht diese Chinesin beispielsweise durch einen oszillativen Tanz eine „magische" Kontraktion und eine Rotation des Raumes. Wenn wir annehmen, dass Träume die bewusste Haltung kompensieren, können wir schliessen, dass diese Chinesin der ins Unbewusste abgedrängten Weltseele entspricht, die Pauli zeigen will, dass sie offensichtlich parapsychologische Fähigkeiten besitzt, mit deren Hilfe sie den Raumbegriff der Physik ausschalten und durch einen solchen ersetzen kann, der auf die Länge Null reduziert und zudem mit der Rotation verbunden ist (vgl. dazu Radioaktivität und Synchronizität im Pauli/Jung-Briefwechsel). Eben solche, in ihren Einzelheiten heute noch unverstandene parapsychologische Zusammenhänge stehen auch hinter dem Pauli-Effekt. Und eben dieses psychokinetische Phänomen meint Pauli in der obigen Briefstelle von der Verfolgung durch die "revenues" der Weltseele während des Tages.

 

3. Die Unvollständigkeit der Quantenphysik in Bezug auf die Beobachtung des Einzelfalles

Im Brief an Fierz kommt Pauli nun auf das Problem des Wirkungsquantums (s.u.) zu sprechen. Er meint, dass eben dieses bewirke, dass man

"das Einmalige und den 'Sinn' desselben opfern [muss], um eine objektive und rationale Beschreibung der Phänomene zu retten. Wenn zwei Beobachter dasselbe tun, ist es wirklich auch physikalisch nicht mehr dasselbe; nur die statistischen Durchschnitte bleiben im allgemeinen dieselben. Das physikalisch Einmalige ist vom Beobachter nicht mehr abtrennbar - und geht der Physik deshalb durch die Maschen ihres Netzes. Der Einzelfall ist occasio und nicht causa. Ich bin geneigt, in dieser 'occasio' - die den Beobachter und die von ihm getroffene Wahl der Versuchsanordnung mit einschliesst - ein "revenue" der im 17. Jahrhundert abgedrängten anima mundi (natürlich in 'verwandelter Gestalt') zu erblicken. La donna è mobile - auch die anima mundi und die occasio."

Diese Briefstelle Paulis bedarf einer längeren Erklärung. Wir müssen uns zuerst mit dem Begriff des Wirkungsquantums in der Physik beschäftigen. Dieses geht auf Max Planck zurück, der zu seinem grössten Erstaunen feststellen musste, dass Licht nicht kontinuierlich sondern diskret abgestrahlt wird. Dies bedeutet, dass es eine kleinste Einheit gibt, die nicht unterschritten werden kann, das so genannte Plancksche Wirkungsquantum. Diese physikalische Tatsache führt dazu, dass Einzelbeobachtungen in der Quantenphysik bei ihrer Wiederholung trotz identischer Versuchsbedingungen nicht mehr zum gleichen Resultat führen.

Als Laie möge man sich dieses quantenmechanische Paradox, auf die makrophysikalische Welt übertragen, folgendermassen vorstellen: Man misst einen Menschen mit dem Meter. Bei der ersten Messung misst man 172 cm, bei der zweiten jedoch 185. Ein zweiter Massnehmer misst wieder einen anderen Wert, z.B. 165 cm. Es werden nun sehr viele Messungen nötig, die jede im Prinzip einen anderen Wert ergibt. Daher muss man, um die Grösse des betreffenden Menschen zu messen, den Durchschnitt aus all diesen Messungen nehmen. Dieser statistische Durchschnitt würde dann bei einer Wiederholung der Messreihe ungefähr gleich bleiben. Man nennt dieses Phänomen - das im makrophysikalischen Fall natürlich völlig unsinnig ist, jedoch der Veranschaulichung des mikrophysikalischen Prozesse dienen soll - das Messproblem der Quantenphysik. Da die Ausgangsbedingungen der einzelnen Messungen immer gleich sind, müsste nach den Gesetzen der Newtonschen Physik auch immer dasselbe Resultat herauskommen. Dies ist eine logische Folgerung des kausalen mathematischen Gesetzes, das besagt, dass gleiche Anfangsbedingungen zum selben Resultat führen werden. Da aber immer andere, verschiedene Messresultate gemessen werden, derselbe Ausgangszustand also zu verschiedenen Resultaten führt, wird dieses mikrophysikalische Geschehen akausal, d.h. ursachelos. Erst eine meist aus tausenden von Messungen bestehende Messreihe liefert ein einigermassen gesichertes Resultat, eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, die Pauli auch statistische Korrespondenz nennt.

Die Quantenphysik beruht also auf einem Naturgesetz, das nur statistisch gilt, d.h. es muss eine Unzahl von Messungen gemacht werden, um ein Messresultat zu erhalten. Nur so ist die "objektive und rationale Beschreibung der Phänomene" gewährleistet. Um physikalische Objektivität zu erreichen, das heisst, das Resultat reproduzierbar und so durch andere Physiker nachprüfbar zu machen, ist es somit notwendig, die Beobachtung des einmaligen Ereignisses zu opfern, das heisst aber zugleich, das beobachtende Individuum auszuschalten. Doch ist, wie die Ausführungen Paulis und auch das obige Beispiel zeigen, in der Quantenphysik "das physikalisch Einmalige ... vom Beobachter nicht mehr abtrennbar". Infolge der statistischen Betrachtungsweise geht es "der Physik deshalb durch die Maschen ihres Netzes".

Die physikalische Beobachtung der Quantenphysik ist also naturgemäss unvollständig. Infolge ihrer statistischen Betrachtungsweise fehlt ihr die Beobachtung des Einzelfalls und damit der Bezug zum Individuum. Diesen Einzelfall sieht Pauli als "occasio" und nicht als "causa". Unter "occasio" versteht er dabei den spontanen Zufall, denn es gibt kein naturwissenschaftliches Gesetz, das diesen Einzelfall - beispielsweise den Zerfall eines einzelnen radioaktiven Atoms - beschreiben kann. Das Auftreten solcher spontaner Einzelfälle, zu denen einerseits die (telepathische) Synchronizität C.G. Jungs, andererseits der psychokinetische Pauli-Effekt gehört, bezeichnet Pauli als "ein ‚revenue' der im 17. Jahrhundert abgedrängten anima mundi (natürlich in 'verwandelter Gestalt')". Dass er damit eine unvorhersehbare, spontane Zustandsänderung meint, zeigt auch die Aussage: "La donna è mobile - auch die anima mundi und die occasio." 

 

4. Die "schwarze Messe" des quantenphysikalischen Experimentes und deren "Nacheffekte"

Die Wiederkehr der Weltseele besteht gemäss Pauli also im Phänomen, dass spontane Zufälle sich ereignen, die weder durch ein physikalisches Experiment beobachtet noch durch eine mathematische Theorie allgemein beschrieben werden können. Er fährt nun mit der Aussage fort, dass die "occasio" die Wahl der Versuchsanordnung einschliesse, mit anderen Worten, dass die Wahl der Versuchsanordnung durch den physikalischen Beobachter willkürlich sei (vgl. dazu auch die Briefe [1572] an v. Franz, [1579] an Jung und [1657] an Kröner). Er glaubt also, dass der Zufall und das Einmalige durch die Tatsache berücksichtigt sind, dass die schliesslich gewählte experimentelle Anordnung als Auswahl aus vielen potentiellen Möglichkeiten geschieht. Derart verschiebt er aber den Einfluss der anima mundi auf die Vorbereitungszeit des Experimentes, in der der Forscher auf den kreativen Einfall aus dem kollektiven Unbewussten wartet. Pauli übersieht dabei, dass eben durch die willentliche Wahl von Ort und Zeit des Experimentes die zeitliche und örtliche Zufälligkeit des Geschehens - der zentrale Kern der Funktionsweise der Weltseele - ausgetrickst wird. Mit dieser Verlegung des spontanen Zufalls in die Auswahl der experimentellen Anordnung widerspricht er sich selber, denn er sieht andererseits, dass der eigentliche Grund für die Unbeobachtbarkeit des Einzelfalles im physikalischen Experiment darin liegt, dass dieser Einzelfall, die "occasio", völlig spontan (akausal, indeterministisch) auftritt und sich eben deshalb einer Beobachtung mit Hilfe des physikalischen Experimentes, das heisst, mit Hilfe einer willentlich in Raum und Zeit festgelegten Prozedur entzieht.

Ein erneuter Einbezug der im 17. Jahrhundert verdrängten Weltseele, den Pauli für eine moderne Wissenschaft fordert, muss daher bei einer Kritik des Prinzipes der physikalischen Versuchsanordnung ansetzen. Grundlegende Bedeutung für das wissenschaftliche Experiment besitzt das Phänomen des Ereignisses. Ein solches kann prinzipiell entweder spontan geschehen oder es kann mit Hilfe des bewussten Willens erzeugt werden. Seit Galileo Galilei hat sich die Wissenschaft entschlossen, den zweiten Weg zu wählen. Voraussetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist also immer das willentlich auf einen ganz bestimmten Raum- und Zeitpunkt festgelegte Experiment. Wie ich oben erwähnt habe, wird aber eben durch diese Festsetzung des Experimentes als willentlicher Akt die Beobachtung der spezifischen Funktionsweise der Weltseele verunmöglicht. Diese besteht in einem akausalen Schöpfungsakt im Sinne einer creatio continua, und eben ein solcher Schöpfungsakt ist daher im physikalischen Experiment unbeobachtbar.

Ganz allgemein kann man aus den obigen Ausführungen schliessen, dass die notwendige Voraussetzung für die Beobachtung der "occasio", des spontanen Zufalls, darin besteht, das Prinzip des physikalischen epistemiologischen Bemühens, nämlich das in Raum und Zeit willentlich festgelegte Experiment, aufzugeben. Eine solche Zäsur wird die physikalische Wissenschaft jedoch in ihrem Lebensnerv treffen. Daher erklärt sich auch der Widerstand so vieler Physiker gegen die logische Fortsetzung der Gedanken Wolfgang Paulis. Doch wird nur durch dieses Opfer des wissenschaftlichen Bewusstseins eine Beobachtung des einmaligen Zufalls und damit des akausalen Schöpfungsaktes möglich. Auf ein solches Ereignis muss der "erneuerte Experimentator" allerdings vielleicht ein Leben lang erfolglos warten - eine totale Niederlage des bewussten Forscherwillens!

Im späteren Verlauf des Briefwechsels mit Markus Fierz hat Wolfgang Pauli eben diese Frage nach dem Beobachtungsmodus der Physik intensiv beschäftigt. Er vermutet fast drei Jahre (im August 1954) nach dem oben zitierten Brief vom Oktober 1951, dass

„wir die Materie, z.B. im Sinne des Lebens betrachtet, nicht ‘richtig’ behandeln, wenn wir sie so beobachten, wie wir es in der Quantenphysik tun, nämlich vom inneren Zustand des ‘Beobachters’ dabei ganz absehend."

Er geht nun aber noch einen entscheidenden Schritt weiter und zieht daraus den folgenschweren Schluss:

„Es kommt mir so vor, wie wenn die nicht beobachteten ‘Nacheffekte’ der Beobachtung dann doch eintreten würden (als Atombomben, allgemeine Angst, ‘Fall Oppenheimer’ z.B. etc.), aber in einer unerwünschten Form."

Und er schliesst mit einer Bemerkung über die Unvollständigkeit der Quantenmechanik, die heute von grösster Aktualität ist:

"Die berühmte ‘Unvollständigkeit’ der Quantenmechanik (Einstein) ist doch irgendwie - irgendwo tatsächlich vorhanden, sie ist natürlich gar nicht behebbar durch Rückkehr zur klassischen Feldphysik (das ist nur ein ‘neurotisches Missverständnis’ Einsteins), hat vielmehr zu tun mit ganzheitlichen Beziehungen zwischen ‘Innen’ und ‘Aussen’, welche die heutige Naturwissenschaft nicht enthält (die aber die Alchemie vorausgeahnt hat und die sich auch in meiner Traumsymbolik nachweisen lässt, von der ich meine, dass sie gerade die eines heutigen Physikers charakterisiert)."

Anschliessend meint der Mitbegründer der Quantenphysik, dass er mit diesen Gedankengängen an die Grenze des heute Erkennbaren angekommen sei und sich sogar "der 'Magie' genähert" habe. Der Akt der Beobachtung in der Quantenphysik erscheine einem wie eine

„'schwarze Messe' ... nach welcher die ‘misshandelte’ Materie, indirekt ‘sich rächend’, ihre Gegenwirkung gegen den 'Beobachter' als 'hinten hinausgehender Schuss' manifestiert." [vgl. dazu auch Anm. 1), unten]

Diese tiefsten Gedanken Paulis gipfeln dann in der sich auf Schopenhauer abstützenden Feststellung, dass es

„ausser dem ‘nexus physicus’ ... noch eine andere Verbindung zwischen den Erscheinungen dieser Welt [gibt], eine ‘durch das Wesen an sich aller Dinge gehende’, ‘gleichsam eine unterirdische Verbindung’, den ‘nexus metaphysicus’".

Diese wäre dann, wieder in Anlehnung an Schopenhauer,

„’ein unmittelbares Wirken vom Wesen der Dinge an sich, also vom Inneren auf die Natur’, während ‘das Kausalgesetz bloss das Band der Erscheinungen' sei."

Pauli übersetzt dann diese Schopenhauerschen Begriffe noch in die Sprache C.G. Jungs. „Das Wesen der Dinge an sich" würde so zu „kollektives Unbewusstes", der Schopenhauersche „Wille" zu „der einem energetischen Gefälle folgende Strom der Archetypen" und „metaphysicus" zu „psychologicus".

Setzt man diese Jungschen Begriffe in den obigen Kontext ein, ergibt sich folgende Hypothese: Diese „unterirdische Verbindung" erfolgt über das kollektive Unbewusste, mit dem Pauli zu jenem Zeitpunkt sicher den psychoiden Archetypus (vgl. dazu Radioaktivität und Synchronizität im Pauli/Jung-Briefwechsel) meint, und sie ist dem „nexus psychologicus" beziehungsweise dem „nexus psychoidicus" verpflichtet. Mit Hilfe dieses neuartigen Nexus wäre es gemäss Pauli also vielleicht möglich, aus dem eigenen Inneren heraus, ohne eine äussere Beeinflussung, direkt und unmittelbar auf die äussere Natur einzuwirken. Dies sei aber nur möglich, wenn das Bewusstsein dem „Willen" folge, d.h. dem „einem energetischen Gefälle folgenden Strom der Archetypen in seiner Beziehung zum Bewusstsein". Dieser Schopenhauersche Wille meint also nicht den bewussten Willen, sondern einen vorbewussten „Gegenwillen", der gemäss Jung der „Durchkreuzung unseres bewussten Willens" dient.

Mit dieser aus Wolfgang Paulis Gedanken abgeleiteten Hypothese sind wir zum Kern des Problems vorgestossen. Offensichtlich hatte er - sicher durch das Erlebnis des psychokinetischen Pauli-Effektes gefördert - schon geahnt, dass die Haltung der Naturwissenschaft, die ganz wesentlich den bewussten Willen in den Vordergrund stellt, einmal durch einen archetypischen Prozess kompensiert werden wird, der diesen bewussten Willen der naturwissenschaftlichen Epistemiologie durchkreuzt. Es stellt sich daher einerseits die Frage, worin ein solches kompensierendes Geschehen bestehen könnte, und andererseits, wie wir ihm mit einer neuen bewussten Haltung begegnen können, um dessen destruktive Auswirkungen möglichst zu vermeiden.

Die Beantwortung dieser beiden Fragen soll im letzten Abschnitt geschehen. Dabei wollen wir berücksichtigen, dass uns Wolfgang Pauli in seinen letzten Lebensjahren in eine gewisse Richtung gewiesen hat. Er meint im oben zitierten Brief an Fierz, dass der "Wille" Schopenhauers, den er sich, wie wir gesehen haben, als einen vom bewussten Willen unabhängigen, energetischen Strom im kollektiven Unbewussten (oder im unus mundus) vorstellte, Raum und Zeit durchbrechen könne. In einem weiteren Brief an Fierz, der zwei Tage nach dem oben zitierten folgte, betont er, dass im Gegensatz zur Auffassung des "naturwissenschaftlichen 'Klassizismus'" - damit ist Einsteins Relativitätstheorie gemeint - die Begriffe von Raum und Zeit mit dem Bewusstsein verbunden sind. Die neue bewusste Haltung dürfte daher darin bestehen, in eine veränderte Art und Weise des Raum- und Zeiterlebnisses hineinzufinden. Ich habe dieses erneuerte Bewusstsein a.a.O. als Eros-Bewusstsein bezeichnet, das das heute allein anerkannte Logos-Bewusstsein kompensatorisch ergänzt. Obwohl es Pauli nicht mehr vergönnt war, zu diesem erneuerten Bewusstsein vorstossen zu können, hat er doch schon geahnt, dass "eine ganz andere Art des Experimentierens" nötig sein wird, um zu erreichen "dass der Schuss nicht hinten herausgeht". Dazu sei allerdings eine Anstrengung nötig, die ebensoviel kosten werde, wie die Entwicklung der Physik in den letzten 300 Jahren [ebd.].

Meines Erachtens heisst diese Aussage Wolfgang Paulis, dass wir ein Gegengewicht zur Misshandlung der Materie in der "schwarzen Messe", nämlich zu dem oben dargestellten willensbetonten Beobachtungsmodus des quantenphysikalischen Experimentes schaffen müssen. Dieses Gegengewicht entspricht dem von mir definierten Eros-Bewusstsein, und nur dieses ist in der Lage, in einem veränderten Zustand, in dem Raum und Zeit völlig neuartig erlebt werden, auf dem Hintergrund einer psychophysischen Nichtlokalität (s.u.) Schöpfungsakte aus dem unus mundus wahrzunehmen, die die befürchtete Rache der misshandelten Materie kompensieren werden.

In einer Postkarte, die Pauli um diese Zeit an Aniela Jaffé schreibt, kommt er auf die Bemerkung über die schwarze Messe im Brief an Fierz zurück. Er erkennt nun, dass der Beobachtungsakt der Quantenphysik eine "schwarze 'Messungs-Messe'" darstellt und dass diese schockierende Einsicht in ihm ein "merkwürdiges Gefühlserlebnis" auslöst, nämlich "Reue gegenüber der Materie, die mir dabei wie ein malträtiertes Lebewesen erschien" [kursive Setzung durch RFR]. Diese Äusserung zeigt, dass der "zynische, kalte Teufel" (Pauli über sich selbst) sich vier Jahre vor seinem Tod in einen Menschen gewandelt hatte, der mit Hilfe seines Gefühls am Sinn der Quantenphysik zu zweifeln begann. Die bewusste Erkenntnis der Notwendigkeit des oben erwähnten "erneuerten Beobachters", der in einem zutiefst introvertierten Zustand eine mögliche Kompensation zur "schwarzen Messungs-Messe", nämlich einen eigentlichen Schöpfungsakt aus dem unus mundus beobachten könnte, blieb ihm allerdings versagt.

In einer der letzten Begegnungen hatte Pauli noch die Gelegenheit, diese von ihm als Alexipharmakon (Gegenmittel) gegen die quantenphysikalische Betrachtung der Natur aufgefasste "Magie" Schopenhauers mit C.G. Jung zu diskutieren. Im August 1954 traf er ihn zum letzten Mal in dessen Turm in Bollingen am oberen Zürichsee, und dieser verwies ihn in diesem Zusammenhang auf Albertus Magnus' magische Vorstellungen, die mit einer "'überschweren Form' der Materie" zusammen hingen. Natürlich erinnern derartige Ideen sofort an die heute künstlich hergestellten Transurane, aber auch an die höherenergetischen Quarks und Leptonen, sowie an das Bemühen der Physik, mit dem Higgs-Teilchen ein "überschweres" Elementarteilchen zu finden, das der Vereinigung der vier grundlegenden Wechselwirkungen dienen soll. Könnte dieses Bemühen vielleicht einen ersten und unvollständigen Versuch darstellen, sich der von Albertus Magnus, von Schopenhauer und schliesslich von Wolfgang Pauli gesuchten neuen Form der Magie anzunähern? Und könnte es nicht sein, dass dieser auf der Macht des bewussten Willens beruhende, den "Gegenwillen" C.G. Jungs missachtende und daher die Materie malträtierende Versuch zu "Nachwirkungen" führt, die wir in den immer häufiger werdenden UFO-Sichtungen und -Entführungen (abductions) beobachten können? Und weiter: Könnten diese UFO-Phänomene nicht darauf hinweisen, dass wir vor der Aufgabe stehen, uns ernsthaft damit auseinanderzusetzen, wie die "schwarze Messungs-Messe" der Quantenphysik überwunden werden könnte?

Äusserst interessant und bedenkenswert scheint mir jedenfalls, dass der Briefwechsel zwischen Wolfgang Pauli und C.G. Jung mit einem Brief Jungs vom August 1957 über das UFO-Phänomen endet. Wir sind nicht darüber unterrichtet, was Pauli davon hielt. Doch wissen wir, dass die Idee einer möglichen Ablösung der "schwarzen Messungs-Messe" der Quantenphysik durch eine bewusstere Form der Magie ihn nicht mehr losliess. Als er vier Jahre später in das Rotkreuz Spital schräg gegenüber seinem ETH-Büro in Zürich eingeliefert wurde, wo er am 15. Dezember 1958 sterben sollte, fand man nach seinem Tod seine letzte Lektüre. Es war das Buch Der Magier, Das Leben des Albertus Magnus, München, 1949 von Rudolf Baumgardt.

1) Kurze Zeit später schreibt Pauli der Sekretärin C.G. Jungs, Aniela Jaffé, mit der er seine Gedanken ebenfalls erörterte, dass in seinen Träumen in geheimen Laboratorien Atombomben fabriziert werden, dass diese Produktion in diesen Träumen jedoch doppelsinnig aufzufassen sei und in der "physikalisch-symbolischen Sprache" den Individuationsprozess C.G. Jungs meine. Diese Stelle zeigt, dass meine aufgrund anderer Träume Paulis abgeleitete Hypothese der Transgressivität der Radioaktivität und des Antineutrinos (s.u. und Radioaktivität und Synchronizität im Pauli/Jung-Briefwechsel) aus diesen bisher nicht veröffentlichten Träumen Paulis ebenfalls verifiziert werden könnte.

 

5. Ein möglicher Weg zu einer neuen Geschlossenheit des Weltbildes

Kehren wir nun zum Brief Paulis vom 13. Oktober 1951 an Fierz zurück. Nach der Feststellung, dass die "occasio" ein "revenue" der im 17. Jahrhundert abgedrängten anima mundi in "verwandelter Gestalt" sei, fährt Pauli fort:

"Es ist hier etwas offengeblieben, was früher geschlossen schien und meine Hoffnung ist, dass durch diese Lücke neue Begriffe an Stelle des ‚Parallelismus' eindringen werden, die einheitlich zugleich physikalisch und psychologisch sein sollten. Möge eine ‚glücklichere Nachkommenschaft' dies erreichen."

Offen geblieben ist, wie Paulis Ausführungen zeigen, in der Physik natürlich das Phänomen der Einzelbeobachtung. Einen ersten Ansatz zur Lösung dieses Problems habe ich oben gegeben. Er besteht darin, dass das Phänomen des wissenschaftlichen Bewusstseins und damit zusammenhängend die Wahl der epistemiologischen Werkzeuge kritisch unter die Lupe genommen werden. Wie wir gesehen haben, führt dies auf die Forderung nach einer Aufgabe des in Raum und Zeit willentlich fixierten Experimentes.

Es stellt sich nun die Frage, worin denn die von Pauli erwähnte frühere Geschlossenheit liegt. Und wo wäre dann eine neue Geschlossenheit als Nachfolgerin der "lückenhaften Physik" zu suchen, für die man zudem neue Begriffe an Stelle des "Parallelismus" zur Beschreibung und Lösung des psychophysischen Problems suchen müsste?

Da sich Paulis Aussagen auf die alchemistische Weltseele beziehen, können wir schliessen, dass diese ursprüngliche Geschlossenheit offensichtlich mit ihr zu tun haben muss. Wie wir gesehen haben, betrachtete der Alchemist - so beispielsweise der von Pauli näher untersuchte Robert Fludd - die Welt dieser anima mundi nicht mit unseren Augen. Für ihn waren das "Teil" - das er, wie wir gesehen hatten, eigentlich gar nicht akzeptierte - und das Ganze noch eine Einheit. Da das Teil im Prinzip mit dem Ganzen identisch war, zog eine Veränderung in diesem eine unmittelbare Veränderung des Ganzen nach sich, et vice versa; mit dem mikrokosmischen Geschehen (bzw. mit dem Geschehen in den "Einzelseelen") war ein sinnähnliches makrokosmisches (bzw. eine Wandlung in der "Ganzheitsseele", d.h. der anima mundi) verbunden.

Die Veränderung geschah mit Hilfe eines nicht genauer erklärbaren, da göttlichen Aspektes der Weltseele, der anima movens. Da im mittelalterlichen Denken die Planeten Seelen besassen, die zudem mit der sie verbindenden Weltseele im Prinzip identisch waren, existierte auch keine Spaltung von Psyche und Materie. Die von Pauli angedeutete Geschlossenheit des mittelalterlichen Weltbildes bestand also darin, dass erstens Teil und Ganzes eine Einheit bildeten (was eine "Parallelität" ausschliesst) und zweitens alle Materie beseelt war (womit kein "psychophysisches Problem" entstehen konnte). Eine "psychophysische Parallelität" hatte demnach im mittelalterlichen Weltbild gar keinen Platz.

Beide Aspekte dieses mittelalterlichen Weltbildes - einerseits das Phänomen von Teil und Ganzem, das die Beziehung in den Vordergrund stellte und das Teil vernachlässigte, andererseits der Glaube an eine der Materie inhärente Seele - wurden durch die Quantifizierung und Mathematisierung der Wissenschaft im 17. Jahrhundert (Galilei, Kepler, Newton) jedoch weitgehend verdrängt. Daher ergab sich die Notwendigkeit, das Postulat der "psychophysischen Parallelität" aufzustellen. Wie wir gesehen haben, bezeichnete Pauli dieses Prinzip als "geistigen Nebelflecken", da es unnötig ist, wenn die Beziehung der Seele zur Materie kausal erklärt werden kann.

„Das noch Ältere ist immer das Neue". Wenn wir uns auf diese Feststellung Wolfgang Paulis besinnen, werden wir zum Schluss gedrängt, dass das "Offengebliebe, was früher geschlossen schien" die im 17. Jahrhundert verdrängten Aspekte der Weltseele, nämlich die Beziehung des Teils zum Ganzen einerseits, andererseits aber die Beziehung von Psyche und Materie ist, und dass eben diese zentralen Eigenschaften wieder in ein erneuertes Weltbild aufgenommen werden wollen. Die Lösung dieses Problems dürfte jedoch nur gelingen, wenn neue, die Physik und die Tiefenpsychologie übersteigende Begriffe geprägt werden können, die das Wesen der Weltseele adäquat beschreiben und so dazu beitragen, ein vollständigeres, Materie und Psyche umfassendes Weltbild begründen zu helfen.

Einen Anfang zur Überwindung der Spaltung von Psyche und Materie machte C.G. Jung im Jahr 1946 durch die erweiterte Definition des Archetypus, die durch die Einführung des Synchronizitätsprinzips nötig geworden war. Dieses wurde ja eben postuliert, weil die psychotherapeutische Erfahrung gezeigt hatte, dass innen und aussen, Psyche und Materie in einer bis dahin unerklärlichen Weise verbunden sein müssen. Jung wurde daher genötigt, den bisher rein psychisch verstandenen Archetypus neu als "transgressiv", d.h. die Welt der objektiven Psyche überschreitend und derart auch die Materie umfassend zu definieren. Diesen erweiterten Archetypus, der natürlich sofort an die Weltseele (= "Materie-Psyche") erinnert, nannte er zudem psychoid, das heisst, "seelenähnlich". Jung ahnte zwar, dass dieser transgressive Archetypus auch die Welt der physikalischen Dimensionen, das heisst, Raum, Zeit und Gravitation hinter sich lassen müsste, doch gelang ihm keine abschliessende Sicht dieser Phänomene mehr.

Einen weiteren Fortschritt scheint mir meine Hypothese der Transgressivität des Neutrinos (beziehungsweise des Antineutrinos) darzustellen. Wie ich in Radioaktivität und Synchronizität im Pauli/Jung-Briefwechsel gezeigt habe, weisen die Träume Wolfgang Paulis darauf hin, dass das Antineutrino nicht einfach ein weiteres physikalisches Teilchen darstellt, sondern dass es auch einen psychischen, vielleicht sogar einen psychophysischen Aspekt besitzt, und dass dessen "innerseelische Herstellung" mit Hilfe der Beobachtung von Synchronizitäten geschieht, die ihrerseits mit einer psychisch erlebten Verformung von Raum und Zeit einhergehen dürfte.

Die Lösung des Problems des Zusammenhanges von Teil und Ganzem hat in der Physik insofern eine erste Hürde genommen, als heute bewiesen ist, dass die so genannte Nichtlokalität die Grundlage der Quantenphysik bildet. Unter physikalischer Nichtlokalität versteht man das Phänomen, dass zwei Teilchen, die einmal vereinigt waren, auch nach ihrer Trennung in beliebiger Distanz derart miteinander verbunden bleiben, dass eine Zustandsänderung beim einen augenblicklich (instantan, d.h. mit höherer als mit Lichtgeschwindigkeit) eine Zustandsänderung des anderen nach sich zieht. Ein derartiges Geschehen kann nicht mehr kausal, d.h. als Wirkung einer Ursache beschrieben werden. Das physikalische Geschehen beschreibt also einen akausalen Zusammenhang, allerdings erst zwischen zwei Teilchen und noch nicht zwischen Teil und Ganzem.

Dieser letztere Zusammenhang ist von C.G. Jung mit der folgenden, bis heute unbewiesenen Hypothese umschrieben worden: "Wenn hier im Punkt a etwas geschieht, welches das kollektive Unbewußte berührt oder in Mitleidenschaft zieht, so ist es überall geschehen.". Ich bezeichne einen solchen hypothetischen Zusammenhang in einer bewussten Anlehnung an das physikalische Geschehen als psychophysische Nichtlokalität. In ihr geschieht im Gegensatz zum physikalischen Prozess eine psychische Verformung von Raum und Zeit (zu dieser s. Radioaktivität und Synchronizität im Pauli/Jung-Briefwechsel). [Anm. 2]

Zusammenfassend können wir also sagen, dass eine grosse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Wiederkehr der Weltseele mit den folgenden Phänomenen verbunden sein wird:

a) Das Erlebnis eines spontanen, unvorhersehbaren Ereignisses, das das Bewusstsein plötzlich und meist gegen seinen Willen überfällt. Dieses Ereignis stellt dabei ein Produkt des den bewussten Willen kompensierenden "Gegenwillens" des kollektiven Unbewussten (bzw. des psychoiden Archetypus) dar.

b) Dieses unerwartete Ereignis ist verbunden mit psychisch erlebten Verformungen von Raum und Zeit, das heisst, mit dem Erlebnis einer psychophysischen Nichtlokalität, die ihrerseits Ausdruck der Einheit von Teil und Ganzem und jener von Psyche und Materie ist.

Wenn wir die Phänomenologie der bis heute unerklärbaren Geschehnisse unter die Lupe nehmen und mit der obigen vergleichen, sehen wir sofort, dass im Fall der UFO-Sichtungen und -Entführungen ein grosser Grad von Übereinstimmung herrscht. Eine Untersuchung dieser Phänomene auf dem Hintergrund der oben hergeleiteten Hypothesen in Bezug auf eine heute konstellierte Wiederkehr der Weltseele dürfte daher einen ersten Schritt in die Richtung eines erneuerten Weltbildes darstellen, in dem unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Quantenphysik ein Rückbezug auf hermetisch-alchemistische Vorstellungen möglich wird. Eine solche Vereinigung hat Wolfgang Pauli gefordert und in seiner Aussage "Das noch Ältere ist immer das Neue" ausgedrückt.

Anm. 2: Weitere Ausführungen zu diesem neuartigen Konzept finden sich in meinen Kommentaren zu Werner Zurfluhs Kristallisierenden Wassertropfen, Abschnitte 2.6.2, 2.6.3 (link1) und 3.1.1 (link2).  


Literatur:

Jung, C.G., Briefe I, 1906 - 1945, Walter, Olten, Schweiz, 2. Aufl., 1973

Jung, C.G., Gesammelte Werke, GW 14/I, Walter, Olten, Schweiz, 3. Aufl., 1978

Laurikainen, K.V., Beyond the Atom, The Philosophical Thought of Wolfgang Pauli, Springer, Berlin, 1988

Meier, C.A. (ed.), Wolfgang Pauli und C.G. Jung, Ein Briefwechsel 1932 - 1958, Springer Verlag, Berlin, 1992

Pauli, Wolfgang, Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg, u.a, ed. Karl v. Meyenn, Bd. 4/I, Springer, Berlin, 1996

Pauli, Wolfgang, Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg, u.a, ed. Karl v. Meyenn, Bd. 4/II, Springer, Berlin, 1999


Abbildungsnachweis: Die ob. Abbildung der Weltseele (anima mundi) publizierte C.G. Jung in seinem Werk Psychologie und Alchemie, Rascher, Zürich, 1944, S. 79 am Beginn der Ausführungen über die Traumserie Wolfgang Paulis aus den frühen Dreissigerjahren (heute in GW 12, S. 66). Sie stammt aus Robert Fludds Werk Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica atque Technica Historia, Oppenheimii, 1617, S. 4/5. Pauli war am Alchemisten Robert Fludd als Gegenpol zu Johannes Kepler ausserordentlich stark interessiert und publizierte in Jung, C.G., Pauli W., Naturerklärung und Psyche, Rascher, Zürich, 1952 den Artikel Der Einfluss archetypischer Vorstellungen auf die Bildung naturwissenschaftlicher Theorien bei Kepler. Darin geht er ziemlich ausführlich auf diesen Gegensatz zwischen den Anschauungen Keplers und Fludds ein. Jungs Beitrag bestand in seinem Artikel über die Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge. 


Vgl. auch die weiteren Artikel in

http://www.psychovision.ch/synw/synfrsch.htm 

Homepage Remo F. Roth 

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2.5.2002