Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)

email                   HomePage                   WebSite                    English HomePage

              


© copyright 1996 by Remo F. Roth, Zurich, Switzerland

Traumprotokoll Nr. 1:

 

Der Traum vom unendlich kleinen Punkt und der unendlich grossen, verknoteten Linie

  


XY:

Ich habe einen etwas seltsamen Traum,den ich schon in frühester Kindheit gehabt habe, und der meistens (aber nicht oft) bei Fieber oder auch nur so immer wieder auftaucht:

Es ist ein beige-farbener hintergrund. Ein schwarzer Punkt beginnt seinen Weg und wird zu einer geraden Linie. Er kommt ganz normal an. Ein zweiter punkt startet... Plötzlich verknotet sich die anfangs gerade linie, wird dichter und grösser (in dem moment habe ich aber auch ein erschreckendes Gefühl für Räumlichkeit). Er umschlingt das ganze Bild... Aber die Grösse und der dichte, dicke Durchmesser sind unvortstellbar gross... Üüberhaupt diese Verknotung... Das ist mein schlimmster Alptraum, auch wenn es vielleicht harmlos klingt. Vielleicht können sie ja diesen traum deuten, oder ist das eine chemische Reaktion infolge des Fiebers? Warum kehrt er dann immer wieder ein?

RFR:

Dein Traum ist aussergewöhnlich. Ich habe bis jetzt nur wenige solche abstrakte Träume gesehen. Um ihn deuten zu können, brauche ich noch einige Angaben:

a) Wie alt bist Du?

b) Was arbeitest Du, bist Du noch in Ausbildung?

c) Deinem Namen entnehme ich, dass Du aus der Türkei kommst. Bist Du in Deutschland geboren oder in der Türkei? Wenn letzteres zutrifft, in welchem Alter bist Du nach Deutschland gekommen? Haben diese Träume damals begonnen?

Ich vermute nämlich, dass der Traum davon spricht, dass es Schwierigkeiten gibt wegen dem von D verschiedenen kulturellen Hintergrund. Aber das ist erst eine Vermutung.

XY:

Ich bin 19 Jahre alt, gehe noch zur Schule, werde aber diese Jahr fertig. Du hast recht mit Deiner Vermutung, meine Eltern sind aus der Türkei, ich bin aber hier geboren. Das Problem der zwei Kulturen hat mich eigentlich nie sehr stark berührt,da meine Eltern nicht streng islamisch sind und eher westlich orientiert.Trotzdem wusste ich schon immer,dass ich keine Deutsche, also "anders" bin. Schliesslich gab es zu Hause anderes Essen,andere Musik,eine andere Sprache.

Den Traum habe ich schon, seitdem ich denken kann.Um ihn nochmal näher zu bescheiben: Kennst Du das, wenn man die Augen schliesst (das hab ich meistens wenn ich im Bett liege), und man sich total klein vorkommt und einem die Sachen neben sich (Bett,Schrank) plötzlich so gross wie ein mehrstöckiges Haus vorkommen?! Genauso ist es mit dem zweiten "Band" das sich plötzlich verheddert und immer grösser wird und mein Blickfeld und mich fast ganz umgibt.

RFR:

Ich glaube, ich verstehe, was Dein eindrücklicher Traum Dir sagen will. Bitte sage mir, ob meine Deutung bei Dir "ankommt". Das ist sehr wichtig!

Der Punkt ist in der Mystik des Islam, des Christentums und des Judentums eine Umschreibung für die unfassbare Realität Gottes (bitte verstehe mich richtig, ich will Dich nicht zu einem religiösen Bekenntnis bekehren!). "Gott" ist allgemein gesagt etwas in Dir, das grösser ist als Du, das Dein Leben führt und lenkt. Dieses Prinzip sitzt in Deinem Bauch oder in Deinem Herzen und es gibt Methoden, um damit eine Beziehung aufzubauen. Dies nenne ich eine neue Art der Mystik (hat aber nichts mit Kloster, Sexverzicht, usw. zu tun!).

Eine weitere mystische Umschreibung Gottes heisst "Kleiner als klein, grösser als gross". Davon spricht Dein Traum. Er ist eine moderne Art der Erscheinung Gottes, so wie er z.B. im Alten Testament im Dornbusch erschienen ist. Oder, was Dir vielleicht näher liegt: So wie er Muhammad erschienen ist.

Da Du darüber nicht bewusst bist, dass in Dir das Göttliche ist, mit dem Du Kontakt aufnehmen solltest - wie, werde ich Dir unten sagen -, entwickelt sich das "Kleiner als klein", d.h. der Punkt, in ein übergrosses "Grösser als gross". Daher bekommst Du dann zu Recht Angst, das "Grösser als gross" wirkt erschreckend!

Eine Regel der Traumdeutung besagt, dass man das, wovor man Angst hat, akzeptieren muss. Somit besteht Deine Aufgabe darin, mit dem Göttlichen in Dir eine Beziehung aufzubauen. Das geht natürlich nicht so, dass Du in die Kirche bzw. in die Moschee rennst, sondern dies ist ein innerer Prozess, der Dich tief ergreifen wird. Am besten beginnt man damit, dass man seine Träume aufschreibt und sich mit ihnen beschäftigt. Diese enthalten Botschaften des Göttlichen an Dich. Mit der Zeit wirst Du diese verstehen lernen. Dazu kannst Du auch mein "Traum-Netzwerk" konsultieren, welches Du ja sicher schon im Internet gesehen hast ( http://www.access.ch/psychovision/trnw/traunet.htm )

Zudem würde ich an Deiner Stelle auch ein bisschen die islamische Mystik kennenlernen wollen, d.h. den Sufismus. Deine Eltern sind wahrscheinlich zusehr davon abgeschnitten, und Du darfst dieses Problem in Deinem Leben nun "ausbaden". Es gibt eine islamische Mystikerin aus dem 7. Jahrhundert: Rabbi'a al-Adawiyya. Sie gilt eigentlich als die Begründerin des Sufismus. Ihre Dinge würde ich an Deiner Stelle lesen. Vielleicht auch Jalaludin Rumi, doch das ist halt leider ein Mann.

Wenn Du noch Fragen hast, maile mir wieder. Dein Traum ist derart ergreifend, ich habe selten so etwas gesehen.

XY:

Deine Assoziation zu Gott/dem Göttlichen erscheint mir einleuchtend.Als kleines Kind glaubte ich an Gott... Für mich war Gott der Himmel, die Häuser, die Strassen, er war überall drin, Bestandteil jeglicher Materie. Und in jeder Seele war nach meiner Auffassung ein Stück "Gott". Erst jetzt fällt mir auf,dass sich trotz dieser Auffassung meine Gebete immer nach aussen richteten und nicht nach innen! Eigentlich unlogisch.Vielleicht lag darin der Konflikt,der sich mir nur durch Träume offenbaren konnte? ... Ich halte absolut nichts von Religionen,von Allah, Jehova, Jesus, usw. Ich glaube gott ist die Natur,das Universum und kein er/sie mit langem bart und sohn namens Jesus, etc. Ich diene Gott auch nicht in dem ich Kirchensteuer zahle oder weiterhin jeden abend bete. ... Ich versuche die Natur zu schützen,ich versuche auch korrekt im Umgang mit allen menschen zu sein.Wenn sich rumis gedichte nun an die Natur gerichtet hätten,hätte ich seine werke schon viel besser gefunden :-)

Eigentlich stossen mich Religionen eher ab, aber ich habe eigentlich überhaupt keine Ahnung über "meine" Religion.Dafür interessiere ich mich für Mystik. Ich werde dein Vorschlag mal in Angriff nehmen.Wie du siehst, hast du einige Dinge in mir geweckt,die in meinem täglichen leben früher oft da waren, an die ich heutzutage aber gar nicht mehr denke.Deine Deutung kommt daher auf jeden fall an.

RFR:

Ich stimme Deiner Auffassung des Göttlichen völlig bei! Es gibt in fast allen Religionen und vor allem in deren Mystik eine Göttin, ein weiblich-göttliches Prinzip. Bei den Juden ist dies die Sophia oder die Sapientia Dei (Weisheit), bei den Christen kommt Maria nahe dran, doch ist sie leider nur vom Zwerchfell an aufwärts definiert, d.h. sie hat keine Beziehung zu ihren Instinkten...! Im hinduistischen Tantrismus ist es die Shakti. Im christlichen Mittelalter entwickelte sich - davon weiss heute niemand mehr - ein weiblich-göttliches Prinzip in der Weltseele, lat. anima mundi. Eben sie durchdringt die ganze Natur und den Kosmos. Sie kommt Deinem Gottesbild am nächsten. Sie ist das Quark (kleinstes Elementarteilchen) und die Unendlichkeit des Kosmos. Diese Göttin will wieder respektiert werden, sonst wird diese Welt in der Atombomben- oder ökologischen Apokalypse aus dem Universum verschwinden. Das Einzige, was ich über die Verhinderung dieser Katastrophe weiss, ist, dass es einige wenige Menschen - und zu denen gehörst Du ganz sicher - gibt, die dieser Göttin wieder ihre Referenz erweisen sollten.

Diese Göttin findest Du in Dir selbst, eben weil das mittelalterliche Prinzip gilt, dass der Makrokosmos dem Mikrokosmos entspricht, d.h. dass alles in der äusseren Welt auch in Dir drin gefunden werden kann. Wenn ich im letzten email von Gott als "kleiner als klein und grösser als gross" gesprochen habe, dann habe ich eigentlich diese Göttin gemeint. Darum habe ich Dir auch gesagt, dass Du dich mit weiblichen Mystikerinnen beschäftigen solltest. Das Problem ist aber, dass die meisten in Klöstern gelebt haben. Deshalb sind ihre Visionen zensuriert, alles Anstössige, Sexuelle, usw. ist herausgeschnitten worden. Das ist die grosse Tragik der mittelalterlichen Mystikerinnen.

Eben darum kann eine neue Mystik nur aus der individuellen Seele der heutigen Frauen herauswachsen (und einiger Männer, aber die sind meist viel zu sehr verkopft). Und, soweit ich sehe, wächst diese Welt aus den Träumen, aus Visionen, aus körperlichen Krankheitssymptomen und aus seltsamen Zufällen heraus. Und wenn wir diese Welt nicht innen wahrnehmen, erscheint sie uns aussen als UFOs.

RFR:

Haben Sie / hast Du ähnliche Träume? Dann würde ich mich gerne damit beschäftigen. Ich freue mich auf einen email .

 

Homepage Remo F. Roth

Zurück zum Beginn