Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)

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© copyright 1998 by Remo F. Roth, Zürich, Switzerland
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Die Skarabäus-Synchronizität C.G. Jungs

 

C.G. Jung bringt in seinem Artikel über das Phänomen der Synchronizität ein Beispiel, welches inzwischen berühmt geworden ist [Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 497]. "Eine junge Patientin hatte in einem entscheidenden Moment ihrer Behandlung einen Traum, in welchem sie einen goldenen Skarabäus zum Geschenk erhielt. Ich sass, während sie mir den Traum erzählte, mit dem Rücken gegen das geschlossene Fenster. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch, wie wenn etwas leise an das Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah, dass ein fliegendes Insekt von aussen gegen das Fenster stiess. Ich öffnete das Fenster und fing das Tier im Fluge. Es war die nächste Analogie zu einem goldenen Skarabäus, welche unsere Breiten aufzubringen vermochten, nämlich ein Scarabaeide (Blatthornkäfer), Cetonia aurata, der 'gemeine Rosenkäfer, der sich offenbar veranlasst gefühlt hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in ein dunkles Zimmer gerade in diesem Moment einzudringen."

Jung fährt dann fort: "Die sinngemässe Beziehung ... ist in Ansehung der annäherenden Identität der Hauptobjekte (nämlich der beiden Skarabäen) einleuchtend." Er bemerkt dann, dass die Behandlung dieser Patientin äusserst schwierig gewesen sei, weil sie in einem cartesianischen Rationalismus befangen war, und die Möglichkeit irrationaler Phänomene daher völlig ablehnte. Sie benötigte daher eine Einstellungsänderung, welche ihr Bewusstsein gegenüber dem Irrationalen hätte öffnen können. Eine solche Wandlung des Bewusstseins wird in Träumen fast ausschliesslich durch Wiedergeburtssymbole dargestellt. Der Skarabäus ist aber ein klassisches Wiedergeburtssymbol: Im alten Ägypten verwandelt sich der tote Sonnengott in einen Skarabäus, besteigt als solcher die Barke, welche ihn als verjüngten und wiederbelebten Sonnengott zum Morgenhimmel hinaufführt.

Der Sinn dieser Synchronizität bestand somit darin, dass er die Patientin Jungs schockartig darauf hinwies, dass in ihr, symbolisch gesprochen, ein Wiedergeburtsmythos konstelliert war, den wir psychologisch gesehen als eine Wandlung des Bewusstseins deuten. Das Erlebnis verursachte ihr einen tiefen Affekt, und dieser wiederum bewirkte, dass sie sich nun gegenüber dem Irrationalen öffnen und die Wirklichkeit der Welt des Unbewussten anerkennen konnte.

Unsere Welt ist heute in einer sehr ähnlichen Situation, wie die Patientin Jungs. Wir glauben, alle Probleme mithilfe eines rationalistisch-materialistischen Denkens, nämlich mit den Mitteln der Naturwissenschaft und der Technik, lösen zu können. Doch langsam aber sicher zeigt sich, dass wir derart in eine grosse Katastrophe hineingeraten, deren apokalyptisches Ausmass das Ende der menschlichen Zivilisation sein könnte.

Da Synchronizitäten dann konstelliert werden, wenn ein Individuum oder ein Kollektiv in eine"unmögliche" Situation hineingeraten ist, und es vermeintlich keinen Ausweg mehr gibt, ist zu erwarten, dass in naher Zukunft sehr viele Menschen von solchen irrationalen Ereignissen überrascht werden, die man allzuleicht als sinnlosen Zufall abtut. Da wir nicht gewohnt sind, die Botschaften aus unserem Inneren, die Träume, ebenfalls in Betracht zu ziehen, erleben die meisten Menschen Synchronizitäten vorerst als ein rein äusseres Phänomen. Es häufen sich destruktive Zufälle, welche vorerst kaum mit der persönlichen Situation in Verbindung gebracht werden. Betrachtet man eine solche Häufung von Zufällen jedoch auf einer symbolischen Ebene - wie oben das Auftauchen des Skarabäus als ein Symbol der Wiedergeburt - zeigt sich mit der Zeit, dass diese immer von demselben archetypischen Problem sprechen, welches der Lösung harrt. Im Fall von Jungs Klientin war es die Anerkennung der Notwendigkeit einer Wandlung der bewussten Einstellung gegenüber dem Irrationalen, welche die Lösung brachte.

Für Menschen, welche viele solche destruktive Zufälle erleben, ist es daher von ausserordentlicher Bedeutung, den hinter diesen Zufällen konstellierten Archetypus (im obigen Fall jenen der Wiedergeburt) herauszudestillieren. Eine Deutung dieses archetypischen Geschehens führt dann in einen neuen Lebensfluss und damit aus der Blockierung heraus, in welcher sich das Individuum befindet.

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Deutsche Hompage von Remo F. Roth

Radioaktivität und Synchronizität im Briefwechel zwischen Wolfgang Pauli und C.G. Jung

Englisch Homepage of Remo F. Roth

The Connection between Radioactivity and Synchronicity in the Pauli/Jung Letters

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